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Rhythmus bringt Regeneration

Gute Nacht: Während der Tagesstress uns schneller altern lässt, sorgt der Schlaf dafür, dass wir über Nacht wieder ein bisschen jünger und gesünder werden.
Foto: WALA

Herr Professor Moser, Sie sind Leiter des Human Research Instituts für Gesundheitstechnologie und Präventionsforschung. Womit genau befassen sich Ihre Studien?

Prof. Dr. Maximilian Moser:

Wir forschen an Methoden, die es uns erlauben, Gesundheit zu quantifizieren und nicht nur Krankheit medikamentös zu therapieren. In den letzten Jahren greifen stressbedingte Erkrankungen und Erschöpfungszustände immer stärker um sich. Eine besonders wichtige Komponente ist hierbei der Zeitstress: Alles soll schneller, effizienter und billiger gemacht werden. Dabei ist es ein menschliches Bedürfnis, Arbeiten in Ruhe zu erledigen, Entscheidungen mit Bedacht zu treffen und das Erarbeitete zu reflektieren. Wird diese Zeit nicht gewährt, ist das der Boden für einen Burn-out, für ein Ausbrennen durch als sinnlos erlebte Arbeit und ein Leben ohne Perspektive.

Gilt das für alle gleich? Vermutlich braucht jeder Mensch diesen Rhythmus aus Arbeit und Reflexion, aus Aktivität und Erholung? 

Prof. Dr. Maximilian Moser:

Rhythmus ist ein Urphänomen des Lebens. Wir entdecken heute, dass der Mensch einen faszinierenden Zeitkörper besitzt, der aus biologischen Rhythmen besteht. Er ist in der Chronobiologie ebenso wissenschaftlich beobachtbar wie der physische Körper in der Anatomie oder Histologie. Unser Zeitorganismus umfasst praktisch alle physiologischen Funktionen: das Hormonsystem, die Körpertemperatur, das Immunsystem und natürlich die Nervenaktivität im Schlaf- und Wachzustand. Die verschiedenen Rhythmen greifen ineinander wie die Sehnen und Muskeln unseres physischen Körpers. 

Wofür sind diese inneren Rhythmen gut?

Prof. Dr. Maximilian Moser:

Wie Agonisten und Antagonisten arbeiten sie sinnvoll zusammen und gegeneinander. Dies kann man durch das so genannte „ChronoCardiogramm“ sichtbar machen, eine Methode, mit der wir die Flexibilität des Herzrhythmus über 24 Stunden bildlich darstellen. Es entsteht so ein reiches Bild der Rhythmen des Körpers. Im Wesentlichen sind das: der Rhythmus des Atems, des Blutdrucks und der peripheren Durchblutung, aber natürlich auch der Tagesrhythmus. 

Was lässt sich an diesen Rhythmen ablesen?

Prof. Dr. Maximilian Moser:

Die schnellen Rhythmen des Atmens gehen mit Regenerationsprozessen einher, der Blutdruckrhythmus tritt bei konzentrativer Anspannung in den Vordergrund und Emotionen sind von Durchblutungsrhythmen begleitet. Die jeweiligen Rhythmen werden aktiviert, wenn eine entsprechende seelische Bewegung vorhanden ist. Diese Zeitbilder des menschlichen Organismus haben sich hervorragend bewährt, um Menschen in Stresssituationen zu beraten und ihnen zu helfen, ihren Zeitorganismus wieder in Ordnung zu bringen und mehr Zeit für sich selbst zu haben.

Das klingt nach einem ausgeklügelten System, in dem alle Rädchen perfekt ineinandergreifen. Doch was passiert, wenn die innere Uhr aus dem Takt gerät? 

Prof. Dr. Maximilian Moser:

Der menschliche Zeitorganismus spielt eine ganz wichtige Rolle für Gesundheit und Wohlbefinden. Störungen des Zeitorganismus treten lange vor organischen Schäden auf und ihre frühzeitige Erkennung ermöglicht es, bereits am Beginn von Erkrankungen gegenzusteuern und präventiv einzuwirken. Vereinfacht gesagt, kann man durch die Beobachtung des Zeitorganismus Gesundheit bilden und stärken, noch bevor Krankheiten ausbrechen können. 

Heißt das, die Auswertung von biologischen Rhythmen kann helfen, Krankheiten vorzubeugen?

Prof. Dr. Maximilian Moser:

Das haben wir bereits, wissenschaftlich begleitet, zeigen können. Die Spitzenmedizin der Zukunft, die Prävention, wird sich dem Studium der biologischen Rhythmen widmen. Dass der Nobelpreis für Medizin im Jahr 2017 an das Fachgebiet Chronobiologie vergeben wurde, ist ein Hinweis darauf, dass bereits in diese Richtung gedacht wird.

Und wenn das rhythmische Gleichgewicht einmal verlorengeht: Lässt es sich wiederherstellen, beispielsweise mit Hilfe von Therapien?

Prof. Dr. Maximilian Moser:

Wir haben zahlreiche Projekte zur Gesundheitsförderung durchgeführt, auch mit künstlerischen Therapien wie Sprachgestaltung und Heileurythmie. Damit konnten wir bei tausenden Bauarbeitern auf fast 100 Baustellen in Österreich die Unfallzahlen um 30 Prozent senken, auch ein Jahr nach der Therapie. In Krankenhäusern konnte der Stress der Mitarbeitenden signifikant reduziert werden, ihre Morgenherzfrequenz wurde gesenkt und die vor Entzündungen (Silent Inflammations) schützende Vagusaktivität erhöht. Einfachere Interventionen sind die rhythmische Tagesgestaltung von Arbeit und Freizeit mit kurzen Pausen alle zwei Stunden, auch während der beruflichen Tätigkeit, und regelmäßiges Essen sowie regelmäßiger und ausreichender Schlaf.

Prof. Dr. Maximilian Moser ist Leiter des Human Research Instituts für Gesundheitstechnologie und Präventionsforschung und hat an der Medizinischen Universität Graz Physiologie gelehrt.
Foto: tinefoto

Jenseits von gezielten Therapien: Können wir in unserem eigenen Rhythmus, im ganz normalen Alltag, etwas für die Gesundheit tun?

Prof. Dr. Maximilian Moser:

In der Medizin stehen wir derzeit ja gerade erst am Anfang der Erforschung des menschlichen Zeitorganismus. Was wir aber sicher sagen können: Rhythmus ist offensichtlich eng mit Lebensprozessen verbunden. Und wir wissen heute, dass das Schwingen des Herzschlags im Rhythmus von Atmung, Blutdruck und Durchblutungsrhythmen eng mit der Aktivität der Wesensglieder zu tun hat. Während der Tagesstress uns schnell altern lässt, sorgt der Schlaf dafür, dass wir über Nacht wieder ein bisschen jünger und gesünder werden. Ein guter Grund also, jeden Abend beruhigt zu Bett zu gehen.

Ausführliche Informationen über Rhythmen und ihre Rolle bei der Erhaltung und Wiedererlangung der Gesundheit gibt es in Maximilian Mosers Buch „Vom richtigen Umgang mit der Zeit“