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Starker Klang auf dünnem Eis

Tanja Tetzlaff setzt sich aktiv für Klimaschutzprojekte ein. Hier spielt sie im Rahmen ihres Filmprojektes „Suiten für eine verwundete Welt“ für den Aletschgletscher in der Schweiz.
Foto: Stephan Aubé

Von Anfang an geht die WALA einen eigenen Weg, auf dem die Natur, aber auch das Kreative und Gestaltende eine wichtige Rolle spielt. Der Impuls, sich für die Rettung des Planeten einzusetzen, bewegt Sie und uns gleichermaßen. Was hat Sie veranlasst, sich aktiv für Themen der Zeit, v. a. Klimaschutzprojekte, zu engagieren?

Tanja Tetzlaff:

Ich wollte mich unbedingt als Musikerin engagieren: Wenn die ganzheitliche Balance weiter so aus dem Gleichgewicht gerät, wenn die bereits stattfindenden Konflikte um Wasser und Ressourcen zunehmen, wenn Kriege und schwächer werdende Demokratien unsere Lebensgrundlagen gefährden, ist das auch eine Katastrophe für alle kulturellen Ereignisse.

Statt einfach die Kunst der schönen Musik zu machen, möchte ich sie zusammenbringen mit dem, was jetzt gerade tatsächlich brennt. So habe ich immer wieder Stücke v. a. moderner Komponist:innen gespielt, die aufwecken wollen, die ein Zeitgeschehen widerspiegeln, das unter Umständen nicht bequem, schön und erhaben ist.

Was verbindet Musik – klassische Musik – und Natur für Sie?

Tanja Tetzlaff:

Musik ist im Grunde genommen Natur. Die physikalischen Schwingungen, die unsere Musik ausmachen, sind eine Naturerscheinung. Wenn ich draußen bin und den Vögeln zuhöre, dem Wind, einem Bach oder dem Summen der Insekten, dann ist das auch schon Musik. Musik draußen zu spielen, ist eine unglaublich schöne Erfahrung. Alles fällt dann weg, was mit Ehrgeiz, Perfektionismus oder Angst zu tun hat, es geht darum, zu lauschen und sich eins zu fühlen mit der Umgebung.

Gerade klassische Musik mit ihrer Verwurzelung in der Natur, ihrer Verletzlichkeit und Intimität hat Potenzial zum Anrühren, Aufrütteln und Mahnen – auch für mehr Aufmerksamkeit und Behutsamkeit im Umgang mit der Natur und den Menschen.

Als ich mein Filmprojekt „Suiten für eine verwundete Welt“ entwickelt habe, kam mir gleich die Idee: Ich will draußen für die Natur spielen und sie damit um Verzeihung bitten, denn als reisende Musikerin bin ich ja selbst Teil ihrer Zerstörung. Jetzt ist es Zeit, demütig zu werden, um einzuordnen, wo wir stehen. Und es ist Zeit, uns zusammen zu engagieren, weil wir tatsächlich auch eine ganze Menge ändern können. Wir sind so viele Menschen, die allmählich aufwachen und merken: Wir haben ein Problem.

Die Cellistin Tanja Tetzlaff gehört seit Jahrzehnten sowohl als Solistin als auch als Kammermusikerin zu den prägendsten Musiker:innen ihrer Generation.
Foto: Georgia Bertazzi

Auch in der WALA glauben wir an die zunehmende Mündigkeit der Menschen und der globalen Kundschaft. Der Gesamtimpuls des Unternehmens, ob im Umgang mit Ressourcen oder als Stiftung, ist kultureller Natur. Kann Kultur in diesen herausfordernden Zeiten überhaupt Menschen erreichen und zukunftswirksam werden?

Tanja Tetzlaff:

Wissenschaftler:innen, mit denen ich im Rahmen von Klimakonzerten (s. u.) kooperiere, bitten mich um diese Zusammenarbeit. Sie sagen: Wir können es nur mit der Kultur, mit der Kunst schaffen, Menschen zu erreichen, weil dann Emotionen dabei sind – reine Fakten und Daten funktionieren nicht. Und erst in dieser emotionalen Nahbarkeit sind wir selbst davon betroffen und können zu einem Umdenken darüber kommen, wie wir uns fortbewegen, wie wir konsumieren oder leben wollen.

In Ihrem Filmprojekt setzen Sie ein musikalisches Zeichen, indem Sie Bachs Cellosuiten an Plätzen spielen, an denen die Natur sichtbar leidet – wie haben Sie dieses Vorhaben realisiert? Auf welche Resonanzräume trafen Sie und Ihr Team dabei?

Tanja Tetzlaff:

Für die Ausschreibung der Glenn Gould Bach Fellowship der Stadt Weimar galt es, alte Musik und neue Medien zusammenzubringen. Das Stipendium ermöglichte dann die Umsetzung meiner Idee, Bachs Cellosuiten in Beziehung zur Natur und zu den Folgen des Klimawandels zu setzen, gemeinsam mit meinem ausgezeichneten Team von Apollofilm SARL.

Hatten wir anfangs an Drehorte von der Arktis bis in den Regenwald gedacht, haben wir dies recht schnell verworfen – es ist keinesfalls nachhaltig, für einen Satz Bach den Kontinent zu wechseln. Aber auch, weil wir gar nicht mehr weit zu fahren brauchen, um die Folgen des Klimawandels zu sehen: Er findet bereits hier in Deutschland statt. Dramatisch, wie im Ahrtal, oder aber untrüglich, wie im Harz, wo durch milde Winter, Trockenheit und Borkenkäfer fast der gesamte Wald gestorben ist. Wenn es so weitergeht, werden wir hier in Deutschland schon bald Probleme haben, unsere Nahrung anzubauen. Ich habe viele Interviews geführt mit betroffenen Menschen vor Ort, um das kulturelle Erlebnis der Musik in der Natur mit dem wahren Leben zu verbinden. Ihre Erzählungen zeigen, dass die Folgen des Klimawandels bereits hier angekommen sind.

Wir haben für jedes Musikstück einen vom Charakter und von der Akustik her passenden Ort ausgesucht: Ich habe z. B. an einem kleinen Gletscherbach eine spritzige Courante zum Klang des Wassers gespielt, während die Musik in einem ausgetrockneten Flussbett fast wie in einem Konzertsaal klang. Unheimlich war es, an der bröckelnden Atlantikküste zu sitzen und einen ganzen Nachmittag zuzuschauen, wie die Flut rasant stieg. In einem verbrannten Wald in Frankreich war auch die Akustik komplett tot, da war nichts Lebendiges mehr. Dort habe ich ein sehr trauriges Stück, die Sarabande aus der c-Moll-Suite, gespielt und hinterher selbst weinen müssen. Das ganze Team war wie erstarrt danach, weil die Situation wahnsinnig emotional war.

Höhepunkt war der Ausflug zu den Schweizer Gletschern. Die Schönheit der Berge verändert sich rapide und enorm. Wir hatten dort 2021 recherchiert, um ein Jahr später an demselben Ort zu drehen: Statt weißem Eis gab es nur noch graue Überreste, der See war vergrößert und die Gletschergrenze hatte sich eindeutig nach oben verschoben. Der Verlust dieser Gletscher bedeutet eine furchtbare Veränderung – für die Region und für den Wasserhaushalt des gesamten Planeten.

Im Film kontrastieren zwei moderne Stücke von Thorsten Encke die klassischen Cellosuiten von Bach.

Tanja Tetzlaff:

Die beiden zeitgenössischen Kompositionen „Black Ice“ haben wir in den Film aufgenommen, um das Publikum aus den wunderschönen Naturklangbildern herauszureißen. Und um das Bedrohliche unserer Fortbewegung auf dünnstem Eis zu verdeutlichen. Die beiden Stücke sind verstörend. Statt in der Natur in einem komplett schwarzen Studio mit reduzierten Lichteffekten gefilmt, sollen sie dafür sorgen, dass der Film vielschichtig wird und aufregend bleibt – damit eben nicht das entspannende Zurücklehnen passiert, das manche:r immer noch mit klassischem Musikgenuss verbindet.

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Die Komplexität der Beschäftigung mit diesen brennend aktuellen Themen kann abschreckend und sehr anstrengend sein. Dr. Rudolph Hauschka, Gründer der WALA, prägte das noch immer gültige Motto: „Lege Vertrauen in jegliches Tun.“ Wie finden Sie Vertrauen, Mut und auch Freude für Ihre Auseinandersetzungen?

Tanja Tetzlaff:

Trotz der Trauer über das, was bereits verloren ist, gilt es wahrzunehmen, was es immer noch gibt. Uns wird vielleicht auch suggeriert, dass wir komplett machtlos seien, wenn wir im Kleinen nachhaltig und ökologisch verträglich zu leben versuchen und dabei das Große so erdrückend schrecklich ist. Diese Mentalität des „Die Welt geht sowieso unter und wir können doch nur zusehen“ ist sehr gefährlich und darf nicht überhandnehmen. Wir können viel selbst gestalten und mitbestimmen, vielleicht sogar viel mehr, als wir denken. Daran müssen wir uns festhalten.

Sie sagten einmal: „Gerade in Krisen brauchen wir Menschen kraftspendende Kunst, damit wir in schwieriger Zeit über uns hinauswachsen können“ – mit Kunst und Kultur als wirksamen Werkzeugen?!

Tanja Tetzlaff:

Deswegen mache ich jetzt viel mit den „Orchestern des Wandels“, einer Initiative von deutschen Sinfonieorchestern, die sich für Klimaprojekte zusammengeschlossen haben und versuchen, die eigene Arbeit nachhaltiger zu gestalten. Da gibt es z. B. „Klimakonzerte“ mit Wissenschaftler:innen; einmal habe ich nach Klimakurven improvisiert. Das ist etwas, was Menschen ganz anders erfasst als reine Fakten über Erderwärmung. Deshalb brauchen wir Kunst und Kultur, die Emotionen wecken, durch die wir berührbar und durchlässig genug werden, um zu verstehen, wo wir stehen und wo die Welt steht. Und um daraus Konsequenzen zu ziehen – wir benutzen die freigesetzte Energie, um etwas zu verändern. Wir dürfen einfach nicht aufgeben.