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Die Zukunft anpacken

Foto: Silicya Roth

Kindergarten und Altenwerk liegen sich auf Schloss Hamborn direkt gegenüber. Wie zwei Pole, die einander bedingen, reichen sich Werden und Vergehen die Hand. Ein Beispiel für ein gelungenes Miteinander der Generationen? „Hier kann ich gesund alt werden“, sagt Angela Burckhardt. Seit über zehn Jahren lebt die heute 73-Jährige im Wohnbereich des Altenwerks. Ihre kleine Zweizimmerwohnung ist mit eigenen Möbeln eingerichtet. An der Wohnungstür begrüßt ein Zwerg aus Filz die Besucher. „Das ist Tomte“, erklärt Angela Burckhardt. „Eigentlich gehört noch ein Fuchs dazu, aber für den hatte ich bisher keine Zeit.“ Kein Wunder. Nadelfilzen ist zwar ihr Hobby, doch allzu oft sitzt sie nicht in ihren vier Wänden. Denn auf Schloss Hamborn gibt es viel zu erleben: das Klassenspiel der Waldorfschule, Vorträge, Konzerte, Eurythmie, Pantoffelkino. Pantoffelkino? Angela Burckhardt erklärt lachend: „Unsere Kinoabende finden oben im Eurhythmiesaal statt. Dorthin können wir in Pantoffeln gehen. Daher der Name.“ Die alte Dame ist außerdem nicht nur Bewohnerin, sie sitzt auch im Vorstand des Altenwerks und engagiert sich im Kulturkreis. „Ich will das Leben noch mitmachen!“, sagt sie mit blitzenden Augen. Dazu gehört auch, dass sie regelmäßig auf der Pflegestation vorliest. „Es ist eine gute Übung, den Menschen in seiner Begrenztheit zu erleben“, betont Angela Burckhardt.

Gemeinschaft von Jung und Alt

Das anthroposophische Zentrum auf Schloss Hamborn gibt es seit 80 Jahren. Es liegt idyllisch im Grünen – etwa zehn Kilometer südlich von Paderborn, in Ostwestfalen. In der Rudolf Steiner Werkgemeinschaft arbeiten und wohnen über 500 Menschen auf rund 300 Hektar Fläche. Die vielfarbigen Natursteine des Hauptgebäudes im Stil der Weserrenaissance atmen Tradition und Lebendigkeit zugleich. Neben einer Waldorfschule und einem Waldorfkindergarten sowie der Jugendhilfe mit Landschulheim und Berufsförderung gibt es auf dem Gelände auch ein Altenwerk und eine Reha-Klinik. Das Hofgut betreibt biologisch-dynamische Land- und Forstwirtschaft. Ein Café und ein kleiner Bioladen runden das Angebot ab. Assoziierte Bereiche sind das Ton- und Videostudio daruf., der Verlag Ch. Möllmann und eine Gemeinde der Christengemeinschaft.

Das Altenwerk, in dem Angela Burckhardt lebt, ist also nur eines von vielen Gewerken. Das bedeutet: Es gibt ein soziales Umfeld, ein Eingebundensein in einen größeren Kontext. „Hier bin ich fürs Alter gut aufgehoben“, ist sich Angela Burckhardt sicher. Und sollte ihre Gesundheit irgendwann nachlassen, kann sie problemlos in den Pflegebereich wechseln. Das Altenwerk ist in zwei Sektionen gegliedert: Während im betreuten Wohnen die Menschen noch recht selbstständig sind, hat der Pflegewohnbereich Platz für 55 ältere und pflegebedürftige Menschen.

Malen und Plastizieren gehören auf Schloss Hamborn zur Therapie.
Geschäftsführer Gerd Bögeholz berichtet vom Erfolgsrezept der Werkgemeinschaft.
Das Hauptgebäude von Schloss Hamborn stammt aus dem 19. Jahrhundert. Es gehört zur Gemeinde Borchen und liegt am Rande des Kalkmassivs der Paderborner Hochfläche.
Die Werkgemeinschaft Schloss Hamborn wurde 1931 als anthroposophische Initiative gegründet. Die Idee: Pädagogik, Medizin und biologisch-dynamische Landwirtschaft zu verbinden. Die Bereiche arbeiten organisatorisch und wirtschaftlich in synergetischer Weise zusammen.
Foto: Silicya Roth

Bewohner dürfen individuell leben

Pflegekraft Ramona Josephs arbeitet seit zwölf Jahren auf Schloss Hamborn und weiß genau, was ihren Patienten guttut: „Wir gehen sehr individuell auf die Wünsche unserer Bewohner ein“, sagt sie. Langschläfer dürfen morgens länger liegen bleiben. Wer Ruhe möchte, kann sich zurückziehen, wer Ansprache braucht, bekommt sie. Wer Hobbys hat, darf sie ausüben. „Wir fragen zum Beispiel auch, wie häufig unsere Bewohner duschen oder baden möchten“, so die Pflegerin. Ein Service, den es nicht überall gibt. Auch im hohen Alter und bei fortgeschrittenen Erkrankungen wie Demenz wird der Mensch im Hamborner Altenwerk als Einheit von Geist, Seele und Leib gefördert. Die Angebote reichen von Physiotherapie und Heileurythmie über Wickel, Auflagen und rhythmische Einreibungen bis hin zu Malen, Handarbeit oder Chorgesang. Besonders wichtig für alle Bewohner von Hamborn ist, dass hier junge und alte Menschen, Gesunde und Kranke aufeinander achten, voneinander lernen und miteinander leben.

„Als unser Hofgut das ‚Hühnermobil’ eingeweiht hat, waren 25 alte Menschen mit dabei“, erzählt Gerd Bögeholz, einer der Vorstände der Werkgemeinschaft. „Dieser mobile Hühnerstall hat sie brennend interessiert.“ Zeuge eines fruchtbaren Miteinanders sind auch die Namen und kunstvollen Schilder der drei Pflegestationen des Altenwerks: Opal, Rubin und Koralle. „Eine Initiative der Berufsförderung und die Jahresarbeit von Schülern der zwölften Klasse“, erinnert sich Angela Burckhardt.

Ein weiterer Baustein fürs gesunde Altwerden ist auf Hamborn die Reha-Klinik. „Zu uns kommen die Menschen zur Verjüngung“, erklärt Dr. Constantin Paxino. Er ist einer der Mediziner der Klinik, lebt und arbeitet seit 24 Jahren auf Hamborn. Das therapeutische Konzept setzt auf salutogene, also gesundheitsfördernde Maßnahmen. Dazu gehören einerseits aktive Therapien wie Malen, Plastizieren, Formenzeichnen, Heileurythmie und psychologische Behandlungen. Aber auch passive Therapien wie rhythmische Massagen oder Öldispersionsbäder. „Außerdem wird hier jeden Tag frisch gekocht, meist mit Zutaten aus Demeter-Anbau“, so Dr. Paxino. Besonders bewährt hat sich dieser ganzheitliche Ansatz in der Tumornachsorge, bei chronischen oder psychosomatischen Erkrankungen. Und das Konzept hat Erfolg. Das beweist das Ergebnis einer Patientenbefragung der Deutschen Rentenversicherung, die zur Reha-Qualitätssicherung durchgeführt wurde. „Unter 96 Einrichtungen schließen wir regelmäßig als bestes Haus ab“, berichtet Gerd Bögeholz nicht ohne Stolz.

Altwerden ist keine „Störung“

Vielleicht liegt es unter anderem daran, dass auf Hamborn das Thema Krankheit – genauso wie das Thema Altern – nicht als Störung betrachtet wird. „Sowohl im Altenwerk als auch in der Reha-Klinik helfen wir den Patienten, ihre Situation anzunehmen“, erklärt Gerd Bögeholz. „Bei uns können sie Kräfte schöpfen und den Alltag neu greifen.“ Gerade künstlerische Therapien seien außerdem ein guter Ansatz, mit den Sinnfragen des Lebens umzugehen. Angela Burckhardt jedenfalls hat noch viele sinnvolle Pläne für die Zukunft. Zunächst einmal braucht sie frische Schafwolle. „Für die Spinnstube im Aufenthaltsraum des Pflegebereichs“, erläutert sie. Außerdem müssen das Dach des Altenwerks renoviert und das Obergeschoss ausgebaut werden. „Es gibt viel zu tun“, sagt Angela Burckhardt und lächelt. „Packen wir die Zukunft an!“

Dieser Artikel wurde erstmals in der viaWALA September 2012 veröffentlicht.