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Eine Kultur der Begegnung

Christiaan Mol studierte Pharmazie in Mailand und Parma (Italien). In Heidelberg absolvierte er beim Centrum für Soziale Investitionen und Innovationen (CSI) das Masterstudium „Non-ProfitManagement and Governance“. 1996 kam er zur WALA, wo er zuletzt die Gruppe Interessenvertretung/Recht leitete. Von 2013 bis Mai 2019 war er Generalsekretär des Industrieverbands ECHAMP (European Coalition on Homeopathic & Anthroposophic Medicinal Products). Im Jahr 2018 wurde Christiaan Mol in den Vorstand der WALA Stiftung berufen.
Foto: Anna Hirte

Herr Mol, wie lautet Ihr Sendungsauftrag? Wie lässt sich Ihre tägliche Arbeit beschreiben?

Christiaan Mol:

Ganz trocken formuliert: Ich kümmere mich um pharmazeutische Standards. Darunter versteht man Beschreibungen produktionstechnischer Eigenschaften von Arzneimitteln, die in rechtsverbindliche Dokumente münden. In Gremien wie ECHAMP1 stellen wir auf europäischer Ebene gemeinsam zum Beispiel folgende Fragen: „Wie führe ich eine Stabilitätsprüfung durch?“ oder: „Wie dokumentiere ich Wirksamkeit?“. Im Grunde schaffen wir Rahmenbedingungen für die Zukunft.

Wie genau tun Sie das? Mit wem suchen Sie Antworten auf derartige Fragen?

Christiaan Mol:

Am intensivsten arbeite ich mit Sparringspartnern zusammen, die ebenfalls in Fragen nach pharmazeutischen Standards unterwegs sind. Das sind zum Beispiel andere Unternehmen, ganze Industriezweige, aber auch Verbände. Sogar Behörden geben mitunter Input. Der bereits genannte europäische Herstellerverband ECHAMP spielt eine wichtige Rolle für meine Arbeit, wie natürlich auch die deutschen Verbände BAH2 und BPI 3.

Das hört sich alles sehr bürokratisch an. Warum ist eine länderübergreifende Zusammenarbeit überhaupt notwendig?

Christiaan Mol:

Weil wir als Arzneimittelhersteller in Zeiten der Globalisierung harmonisierte technische Produktionsstandards benötigen.

Damit wir WALA Arzneimittel künftig auch in anderen Ländern anbieten können?

Christiaan Mol:

Auf jeden Fall. Aber davon sind wir in unserem Sektor noch meilenweit entfernt.

Warum?

Christiaan Mol:

Weil dafür die Bedingungen vor Ort stimmen müssen. Weil dafür ein einheitliches Verständnis der Produkte und Dienstleistungen erforderlich ist. Ganz viel hängt mit gewachsenen Traditionen zusammen. So weiß die Schweiz etwa ganz anders über anthroposophische Medizin Bescheid als beispielsweise Spanien.

Wir stehen also vor großen Herausforderungen …

Christiaan Mol:

Ich sehe in diesen Hürden unsere größten Chancen! Jede kritische Stimme treibt uns weiter an, gibt uns die Möglichkeit, uns zu verbessern. Die Professionalität in unserem Sektor wächst derzeit enorm. In zehn Jahren werden wir zurückblicken auf Umstände, die ganz wesentlich zum Ausbau und zur Verbreitung der integrativen Medizin beigetragen haben. We are here to stay!4

Erklären Sie bitte kurz den Begriff „Integrative Medizin“.

Christiaan Mol:

Die integrative Medizin möchte dem Patienten das Beste aus verschiedenen Therapieansätzen bieten – sowohl aus der sogenannten Schulmedizin als auch aus dem Feld der Komplementärmedizin. Letztere versteht den Patienten eher holistisch, als Einheit von Leib, Seele und Geist. Aktuell bezeugen wir, wie ein bedeutender Teil der Gesellschaft eine spirituelle Öffnung erlebt und erkennt, dass Krankheit wie Gesundheit eine oder mehrere Ebenen des Menschen betreffen. Man könnte auch sagen, dass die integrative Betrachtungsweise die logische Konsequenz einer gesellschaftlichen Entwicklung ist. Und diejenigen, die diese Bewegung verhindern wollen, sind unsere besten Coaches.

Ihre Arbeit führt Sie um die ganze Welt. Sind andere Länder gedanklich schon weiter?

Christiaan Mol:

Aus meiner Sicht gibt es Kulturen, die wesentlich weniger Mühe mit der angerissenen Fragestellung haben – etwa in Südamerika und Asien Ich finde es hochspannend, wie deren Angehörige mitunter ganz bildhaft und fantasievoll mit Themen wie Karma oder geistiger Welt und irdischer Welt umgehen. In solchen Kulturen wird deutlich, dass die Menschheit unterwegs ist, ein multidimensionales Verständnis ihrer selbst zu erarbeiten. Das ist gut so. Doch dazu braucht es Mut. Wir in der WALA haben Mut. Und deshalb werden wir uns mit unseren Produkten in diese Moderne auch „hineinpositionieren“, wenn ich das mal so ausdrücken darf.

Wir sprachen vorhin über Ihren persönlichen Auftrag. Wie verstehen Sie den übergeordneten Auftrag der WALA in dieser modernen Welt?

Christiaan Mol:

Mit unseren Produkten – Arzneimitteln wie Kosmetik – wollen wir einen bescheidenen Beitrag leisten, die Bedürfnisse der Menschen zu decken und ihre Nöte zu lindern. Und die Natur, aus der wir unsere Roh- und Ausgangsstoffe beziehen, wollen wir würdigen, indem wir sie wahrnehmen, erkennen und in den menschlichen Zusammenhang stellen. Indem ich die Heilpflanze würdige, die zum Präparat beiträgt, das ich gerade nutze, entwickle ich eine gesunde Haltung der Dankbarkeit. Würdigung und Dankbarkeit gehören seit jeher zur Unternehmenskultur der WALA.

Trägt dieser Impuls auch zur Heilung bei?

Christiaan Mol:

Ja, definitiv. Die Natur als Ressourcengeberin zu nutzen, natürliche Tinkturen und Produkte herzustellen ist ja zunächst einmal schön und gut. Aber dieser Umstand allein führt nicht in die Zukunft. Erst eine differenzierte multidimensionale Betrachtung bahnt den Weg: Welche Wechselwirkungen verursacht mein Handeln in der Welt? Habe ich die richtige Geisteshaltung? Gehe ich achtsam vor und kann ich diese Achtsamkeit auch in meinen Produkten abbilden?
Die anthroposophische Medizin steht für eine integrative Medizin. Es geht nicht um „entweder – oder“. Es geht darum, alle medizinischen Bemühungen, Produkte und Dienstleistungen anzuerkennen. Weil wir Multidimensionalität brauchen! Ein jeder möge seine Aufgabe finden und diese mit Herzblut erfüllen. So gestalten wir ein förderliches Miteinander, gesunde Wechselwirkungen zwischen Menschen und Dienstleistungen sowie zwischen Notwendigkeiten und Bedürfnissen. Diese Entwicklungen sind dann im besten Sinn des Wortes „organisch“.

Welche Rolle spielt eine solche Geisteshaltung im Verhältnis zwischen Arzt und Patient?

Christiaan Mol:

Neulich sagte ein Medizinethiker und Arzt etwas, das mich sehr berührte: Wo keine wahrhaftige Begegnung stattfinde, könne auch keine Medizin stattfinden. Wir brauchen also eine Kultur der Begegnung. Und wir wollen uns aus dem Zusammenhang heraus begegnen. Wir als Unternehmen WALA wollen durchaus nüchtern und geduldig, aber auch freudig mit unseren Marktbegleitern und „Partnerunternehmen“ unterwegs sein.
Gemeinsam Industriestandards zu erarbeiten, ist eine ziemlich irdische Angelegenheit. Für diese Aufgabe benötigen wir einen sehr irdischen Verstand, Geduld und Durchhaltevermögen. Es geht dabei um Klarheit, um Sachdienlichkeit und um Handhabbarkeit. Ein guter Standard bietet Patienten die Sicherheit, ein gutes Arzneimittel kaufen zu können. Ein guter Standard steht für gute Qualität. Und er bietet Behörden Transparenz und Nachvollziehbarkeit.

Wir haben vorhin die Frage nach dem möglichen Zukunftswachstum der WALA angerissen. Nun sind wir ein Unternehmen, das mit natürlichen Ressourcen arbeitet, die bekanntlich endlich sind. Von bestimmten Pflanzen können wir nur eine bestimmte Menge pro Jahr sammeln oder anbauen. Wie passt der Wachstumsgedanke zu dieser Endlichkeit der Roh- und Ausgangsstoffe?

Christiaan Mol:

Eine mehr als berechtigte Frage. Wir sollten hierzu zwei Ebenen betrachten: Zunächst einmal müssen wir als Unternehmen unsere Grenzen sehr gut kennen. Wir wollen und dürfen unsere nachwachsenden Ressourcen nicht ausbeuten und dadurch schädigen. Wir dürfen unsere Vorräte nicht völlig aufbrauchen. Und selbstverständlich dürfen wir auch keinerlei Qualitätseinbußen dulden. Das ist die eine Ebene, deren Rahmenbedingungen recht schnell beschrieben sind.
Doch auf der anderen Seite sollten wir uns fragen, welche Möglichkeiten des kooperativen Wirtschaftens diesen Konflikt auflösen könnten. Das geht natürlich nur, wenn wir uns als Gesellschaft und als Wirtschaftssystem vom Konkurrenzdenken verabschieden. Spielen wir das doch mal durch: Ein anderes Unternehmen, das vielleicht in einem anderen Land wirtschaftet, ist meist in einen ganz anderen Kontext eingebettet und kann aus diesem Kontext heraus auch einen anderen Beitrag leisten.

Das bedeutet konkret?

Christiaan Mol:

Ich persönlich stelle mir unsere Zukunft gerne als ein Netzwerk von miteinander verbundenen Unternehmen vor, in dem wir aufhören, einander das Wasser abzugraben oder die Kunden wegzunehmen. Auch in Wirtschaftssystemen brauchen wir organische Lebensformen, geprägt von ihren Regionalitäten, ihrer Verbundenheit mit den Kundinnen und Kunden vor Ort. Oder noch konkreter: raus aus den Zeiten einseitiger Dynamik, hin zu modernen Dimensionen von Kulturräumen, Wechselwirkungen und Gesprächen. Diese Dinge werden uns und andere Branchen wachsen lassen. Gesundes Leben ist immer divers. Es ist vielfältig in seinen Interaktionen. Es balanciert das Gleichgewicht aus. Dann bleibt das Leben flexibel und trotzdem stabil. Wo sinnvolle Symbiosen wachsen, entsteht auch eine vielfältige Expression.

Herzlichen Dank für das Gespräch

1Hinter dem Kürzel ECHAMP steht die European Coalition on Homeopathic & Anthroposophic Medicinal Products.
2Der BAH ist der Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller e. V.
3Hinter dem Kürzel BPI steht der Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie e. V.
4Sinngemäß übersetzt: „Wir sind hier, um zu bleiben!“