Was wollen Sie lesen? Entscheiden Sie sich für eines unserer Themen.
Machteld Huber hat jahrelang zu einem neuen Gesundheitskonzept geforscht und das „Institute for Positive Health“ gegründet.
Foto: Machteld Huber
Die Besonderheit des Konzepts der „Positiven Gesundheit“: Es stellt die Eigenregie des Menschen in den Mittelpunkt und fokussiert neben den körperlichen auch auf andere Dimensionen, die das Gesundheitsverständnis und -erlebnis erweitern. „Wir wissen heute, dass ca. 50 % der chronischen Krankheiten vorgebeugt werden kann. Dennoch fließt das meiste Geld bei uns in die Versorgung von Erkrankten in stationären Einrichtungen wie Krankenhäusern – nicht in die Prävention“, so Huber. Ihr Plädoyer: Ein Paradigmenwechsel im Gesundheitswesen ist längst überfällig.
Eine Frage der Definition
Die WHO hat 1948 eine Definition von Gesundheit in ihrer Verfassung festgehalten: „Gesundheit ist der Zustand des vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens und nicht nur das Freisein von Krankheit und Gebrechen.“ Huber meint, diese Definition sei überholt. „Was bedeutet zum Beispiel ‚vollständig‘? Das ist ein Zustand, den kaum jemand erreichen kann.“ Bereits 2009 hat sie deshalb mit dem Gesundheitsrat eine zweitägige internationale Konferenz organisiert und einen neuen Vorschlag erarbeitet. Dieser bezeichnet „Gesundheit als die Fähigkeit, mit sozialen, körperlichen und emotionalen Herausforderungen umzugehen und selbstbestimmt mit ihnen zu leben“. Da Huber aber nicht nur eine Frau der Worte, sondern auch der Taten ist, entwickelte sie, basierend auf weiteren Forschungen, das praktische Spinnennetzmodell.
Von der Theorie in die Praxis
Basierend auf ihren Erfahrungen als Patientin, aber auch in ihrer Funktion als Hausärztin forschte Huber umfassend zu einem neuen Ansatz, der die ärztliche Therapie ergänzt. Das Resultat: ein Spinnennetzdiagramm als Gesprächsinstrument. Es ermöglicht ein breites Gesundheitsverständnis hin zu einer ganzheitlichen, salutogenen Sicht. „Das ist ein Riesenumschwung, nicht nur im kulturellen Denken, sondern auch in wissenschaftlicher Hinsicht“, führt die Ärztin aus. Denn: Nach wie vor richten sich viele Therapien auf das körperliche Wohlbefinden und eine Symptomkontrolle aus.
Machteld Huber hat, basierend auf ihren Forschungen, sechs „Dimensionen“ mit entsprechenden Unterpunkten erarbeitet. Das Gesprächsmodell funktioniert so: Auf einer Skala von 0 bis 10 (10 ist der beste Wert) wird das Befinden bewertet und im Spinnennetz entsprechend angekreuzt. Schon hat man einen ersten Einblick in den derzeitigen Gesundheitsstatus. Das Modell kann als Grundlage für die weiterführende ärztliche Behandlung genutzt werden.
Foto: Positive Health international (PHi)
Eigenverantwortlich handeln
Mit dem Gesprächsinstrument hat Huber ein hilfreiches Werkzeug für Ärztinnen und Ärzte entwickelt, um Patientinnen und Patienten in einem ergebnisoffenen Gespräch auf Augenhöhe zu begegnen, ihre Konstitution und Bedürfnisse zu erkennen und sie zu eigenverantwortlichem Handeln anzuregen. „In den Niederlanden wissen wir, dass Menschen viel schwieriger durchhalten, was sie sollen, wenn man ihnen vorschreibt, was sie zu tun haben. Deshalb ist dieser Impuls, über ein Gespräch zu einer Selbsterkenntnis zu kommen und herauszufinden, wohin sie wollen, so wichtig“, weiß die Ärztin.
Das Erfolgsrezept für ein gesundes Leben
Huber verweist in ihren Vorträgen auf bereits erfolgte Forschungen, unter anderem zu den sogenannten „Blue Zones“. So werden die Regionen genannt, aus denen die meisten Hundertjährigen stammen. Sie liegen in ganz verschiedenen Teilen der Erde: die Insel Ikaria (Griechenland), Loma Linda (Kalifornien), Sardinien (Italien), Okinawa (Japan) und Nicoya (Costa Rica). Was ihr Geheimnis für ein gesundes und langes Leben ist? Unter anderem eine gesunde, fleischreduzierte und maßvolle Ernährung, Bewegung in der Umgebung (mindestens 30 Minuten am Tag), ein sinnhaftes Leben sowie die Bestätigung, sozial eingebunden zu sein. In vielen Gegenden der Erden wird „Positive Gesundheit“ also schon ganz natürlich gelebt. Ganz ohne Superfood und Fitnesskult. Vielleicht schaffen wir auch die Wende bei uns.
TEXT: Rosa Thomas