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Kraftquelle Biografiearbeit

Biografiearbeit – eine Therapieform?

Aber ja, sagt Susanne Hofmeister. Biografiearbeit reiht sich ein in das Spektrum der anthroposophischen Therapien, zu denen äußere Anwendungen, Kunsttherapie und Heileurythmie gehören. So unterschiedlich ein Wickel, eine Gesangsstunde, ein getanzter Laut oder der Blick auf eine bestimmte Lebensphase auch sind – alle anthroposophischen Therapien eint ein Grundverständnis. Sie definieren Gesundheit als Zustand, in dem ein Mensch aus seinem individuellen Gleichgewicht heraus lebt. Und dafür leistet die anthroposophische Biografiearbeit einen wertvollen Beitrag: „Sie lädt ein, das eigene Leben in größeren Zusammenhängen zu sehen. So werden die Wendepunkte und Wachstumsangebote sichtbar, die das Leben bereithält. Damit lassen sich neue Ressourcen erschließen, Widerstandskraft und Belastungsfähigkeit stärken. Und so kann die Basis für körperliche, seelische und geistige Gesundheit gelegt werden“, fasst Susanne Hofmeister zusammen.

„Menschen, die ihr Leben als sinnhaft wahrnehmen, können bewusster, gesünder und länger leben.“
Dr. med. Susanne Hofmeister

Wie viel Arbeit steckt in Biografiearbeit?

Derartige Erkenntnisse und ein daraus resultierender persönlicher Gewinn stellen sich nicht von selbst ein. Susanne Hofmeister verweist auf die Lebenskurve nach Bernard Lievegoed, die bis zu einem Alter von ca. 20 Jahren ansteigt, dann bis ca. 40 auf einem Plateau ruht, bevor sie zum Lebensende hin absinkt. Interessant ist der Zeitraum, an dem die Kurve knickt – die Lebensmitte. Hier entscheidet sich, ob ein Mensch mit seinem Körper synchron altert oder ob er an seiner Selbstentwicklung arbeitet und dem biologischen Abbau ein inneres Wachstum (dies ist dann eine seelisch-geistige Entwicklung) entgegensetzen kann.

Biografiearbeit unterstützt diese Selbstentwicklung. Sie kann in Eigenregie erfolgen – unterstützt durch Fachlektüre, ein Tagebuch, Gespräche im Familien- und Freundeskreis. Sie kann aber auch von ausgebildeten Berater:innen begleitet werden. Dies ist angeraten, wenn Biografiearbeit als ergänzende Therapie bei gesundheitlichen Problemen oder seelischen Krisen eingesetzt wird.

Orientierung kann sehr heilsam sein

Indem Biografiearbeit eine universelle Struktur anbietet, fällt es leichter, auch im eigenen Leben Orientierung zu finden. Das ist sehr heilsam bei Burnout oder Depressionen. Und auch bei chronischen Krankheiten schafft das Erkennen von Zusammenhängen eine versöhnliche Distanz und kann selbst bei einer fortgeschrittenen Krebsdiagnose Trost spenden. Wie lässt sich diese universelle Struktur sichtbar machen?

„Biografiearbeit ist ein Angebot für die Anforderungen unserer Zeit.“ Dr. med. Susanne Hofmeister
Foto: Jan Papenhagen

Typisch anthroposophisch – der Blick auf Jahrsiebte

Die anthroposophische Biografiearbeit arbeitet mit Jahrsiebten, also mit Lebensphasen, die immer sieben Jahre umfassen und sich zu größeren Abschnitten von 21 Jahren zusammenfassen lassen. „Das Besondere der anthroposophischen Biografiearbeit lässt sich aber nicht nur an der Bedeutung ablesen, die den Jahrsiebten beigemessen wird, sondern auch an einem besonderen Blickwinkel: Biografiearbeit fragt nach dem ganz persönlichen Sinn im Leben und denkt dabei von der Geburt eines Menschen bis über den Tod hinaus“, erklärt Susanne Hofmeister.

„‚Was habe ich, was die Welt brauchen kann?‘, ist eine ganz zentrale Frage. Sie zu beantworten, setzt ungeahnte Kräfte frei.“
Dr. med. Susanne Hofmeister

Den roten Faden finden

Es geht um nicht weniger als das Leitmotiv des eigenen Lebens. Oder – wie Susanne Hofmeister gerne sagt – um den roten Faden, der sich durch jedes Leben zieht. Wenn ich meinen Faden finde, kann ich mich daran festhalten. „Dann kann ich in meinem Vergangenheitsschicksal eine Kompetenz, geradezu eine Kraftquelle entdecken.“

In die Zukunft hinein wirken

In Verbindung mit dieser Kraftquelle kann ein Mensch mit der Vergangenheit Frieden schließen, voller Vertrauen in die Zukunft blicken und in sie hinein wirken. Das war selten so aktuell wie heute. „Unserer ganzen Welt mangelt es an Zukunftsvisionen, mit denen wir uns auch gefühlmäßig verbinden können“, beobachtet Susanne Hofmeister. „Stattdessen nehmen Ängste zu, fast möchte ich von einer Lebensverunsicherung sprechen. Wir verspüren eine tiefe Sehnsucht nach weisen Führungspersönlichkeiten. Nur: Wo sind sie? Wir sollten nicht auf Rettung warten, wir dürfen selbst Verantwortung übernehmen.“

Antworten auf aktuelle Herausforderungen

Es verwundert nicht, dass in diesen als unsicher erlebten Zeiten die Nachfrage nach ganzheitlichen Therapien steigt. Susanne Hofmeister beobachtet, dass ihre Fortbildungen von Therapeut:innen, Berater:innen, Personalverantwortlichen sowie Ärzt:innen mit anthroposophischem wie auch schulmedizinischem Hintergrund besucht werden. Sie alle schätzen es, dass sich die anthroposophische Biografiearbeit mit anderen Therapien kombinieren lässt. Und dass sie in einer Welt, die immer unübersichtlicher wird, Orientierung bietet, die vom Einzelnen ausgeht und in die Gesellschaft hineinwirkt.