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Begegnungen schaffen

Wolfgang Tiedemann arbeitet mit expressiven Formen und Farben und schafft Begegnungen – nicht nur mit seiner Kunst, sondern auch mit seiner langjährigen Arbeit als Theaterpädagoge. Ein Ausschnitt seines Werks „Begegnung“ (2015), das im Rahmen der Ausstellung in der WALA gezeigt wird.
Foto: Wolfgang Tiedemann

Sie haben sich ursprünglich mit pädagogischen Aspekten beschäftigt, in Ihrer Ausstellung sehen wir abstrakte Malerei. Welchen Weg sind Sie mit Ihrer Kunst gegangen?

Angefangen habe ich mit dem Fokus auf Kunsterziehung: Nach einem Studium in Nürnberg und einer Schreinerlehre mit Gesellenbrief arbeitete ich drei Jahre in einer heilpädagogischen Einrichtung. Hier lernte ich die Anthroposophie kennen und beschäftigte mich mit Eurythmie und Sprachgestaltung sowie Aquarellmalerei. Nach einer weiteren Ausbildung – zum Sprachgestalter und Sprachtherapeuten – war ich etwa 30 Jahre an der Michael Bauer Schule in Stuttgart, einer freien Waldorfschule, tätig. Dort arbeitete ich im Bereich Theater. Neben der Einzelarbeit in Klassen und im Kollegium betreute ich die Klassenspiele der achten und zwölften Klasse, doppelzügig, sowie die Weihnachtsspiele.

Ein interessanter Lebensweg mit einer klaren Ausrichtung auf Kunstpädagogik. Wie kamen Sie zur Malerei?

Während meines Studiums konnte ich mehrere Wochen lang sämtliche Klassen der Akademie für Bildende Künste in Nürnberg besuchen. Neben den freien Malklassen, den Bildhauern, Goldschmieden und Graphikern haben mich besonders sämtliche Druckmöglichkeiten interessiert: Siebdruck, Holz- und Linoldruck, Radierungen und Lithografien. In der heilpädagogischen Einrichtung beschäftigte ich mich dann mit der Schichtmalerei mit Aquarellfarben. Diese Arbeiten setzte ich während meiner Zeit als Theaterpädagoge fort. Später entstanden auch Kleinplastiken aus Speckstein, wodurch mein Raumgefühl eine neue Ausrichtung bekam.

Als der offizielle Ruhestand nahte, begann eine intensive Phase des künstlerischen Schaffens, besonders mit der Malerei. Die Umstellung von Aquarell- zu Acrylmalerei hat mir neue Möglichkeiten für eine expressive Malweise eröffnet. Dabei sehe ich mehrere Vorteile: Die Acrylfarbe lässt sich sowohl lasierend als auch volldeckend verarbeiten und trocknet schneller.

Im Rahmen seiner künstlerischen Schaffensphasen befasste sich Wolfgang Tiedemann mit verschiedenen Stilen und Materialien. Während seiner Akademiezeit entstand 1973 der Linolschnitt „Clown“, der vom Kubismus inspiriert ist.
Foto: Wolfgang Tiedemann
Bei seinen Arbeiten mit Speckstein entwickelte Wolfgang Tiedemann ein neues Raumgefühl. „Eule“ (2007).
Foto: Herbert Millahn
Eines seiner aktuellen Werke: „Gewitter“ (2021). Acryl auf Karton.
Foto: Wolfgang Tiedemann

Die meiste Zeit waren Sie als Theaterpädagoge beschäftigt. Was wollten Sie den Jugendlichen vermitteln?

In meiner theaterpädagogischen Arbeit mit 13-/14- oder 17-/18-Jährigen sowie Jugendlichen aus den Förderklassen stand die Freude an der Verwandlung im Mittelpunkt und damit die Möglichkeit der jungen Menschen, sich selbst zu erkennen. Als Spielleiter habe ich immer versucht, aus den verschiedenen Bereichen – Sprache, Kulissen, Requisiten, Kostümen, Musik und Licht/Farben – ein Gesamtkunstwerk entstehen zu lassen.

Was passiert, bevor Sie den Griff zum Pinsel „wagen“? Haben Sie ein konkretes Bild im Kopf? Oder passiert vieles intuitiv?

Bevor ich den Griff zum Pinsel wage, steht die Vorbereitung der Malunterlage an. Hartfaserplatten oder starke Kartons werden grundiert, was meistens bedeutet, dass sie mit einheitlicher Farbe gespachtelt, gewalzt oder bemalt werden. Dabei kann es bereits assoziativ zu Gestaltungsanregungen kommen. Dann helfen ständiger Farb- und Formatwechsel. Bei der Konzentration auf Details arbeite ich möglichst lange vorstellungsfrei. Es beginnt ein lebendiger Prozess mit der Frage, was mir aus dem kreativen Chaos entgegenkommt. Angeregt durch Vincent van Gogh, der sagte: „Ein Bild ohne Rahmen ist wie eine Seele ohne Körper“, ist die Rahmung eines jeden Bildes Teil meines künstlerischen Konzepts geworden.

Wolfgang Tiedemann schätzt Begegnungen. Seine gleichnamige Ausstellung ist für Mitarbeitende der WALA im Treppenhaus des Hauptgebäudes zu sehen.
Foto: Wolfgang Tiedemann

Wieso haben Sie die aktuelle Ausstellung „Begegnungen“ betitelt? Welche Bedeutung haben Begegnungen für Sie?

Ich finde jede Art von Begegnung interessant! Die Betrachtung eines Kunstwerks kann die Begegnung mit mir selbst, meiner eigenen Biografie, aber auch mit meinem Gegenüber verändern. Das Treppenhaus, in dem die Ausstellung gezeigt wird, ist im Wesentlichen ein „Durchgangsort“. Woher komme ich? Wohin gehe ich? Nehme ich etwas mit? Auch im „Vorbeigehen“ kann eine Begegnung stattfinden, im besten Fall eine gute.