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Klassisch violett: Amethyst gehört zu den Quarzmineralien. In ihrem „Buch von den Steinen“ beschrieb die heilkundige Hildegard von Bingen (1098 bis 1179) den Gebrauch von Amethyst als Heilstein, unter anderem bei Hautunreinheiten.
Foto: Jigal Fichtner
„Die Zustände beim Mineralienabbau sind weltweit grauenhaft“, berichtet Benjamin Wörz, Rohstoffeinkäufer bei der WALA Tochter naturamus. „Sie sind geprägt von Schmuggel, Kriminalität und Verstößen gegen die Menschenrechte.“ Kein kleines Problem für die WALA, die sich seit jeher für ein wertebasiertes Miteinander einsetzt. „In der Beschaffung haben wir eiserne Grundsätze und Qualitätskriterien“, erläutert Benjamin Wörz. „Aber wie sollen wir unseren eigenen Ansprüchen gerecht werden in einem Umfeld, das sich so instabil und undurchsichtig gestaltet?“ Zwar gibt es auch im Bereich von Mineralien, Gold und Edelsteinen Verbündete wie den Fair Trade Minerals & Gems e. V. – aber kein Angebot an fair produziertem und gehandeltem Amethyst. Der Rohstoffeinkäufer und seine Kolleginnen und Kollegen mussten umdenken.
Amethyst als Bestandteil von WALA Arzneimitteln
Für ihre Arzneimittel verwendet die WALA verschiedene Wirksubstanzen aus allen drei Naturreichen: pflanzliche, tierische und mineralische Stoffe. Die pflanzlichen und die tierischen Substanzen stammen in der Regel aus etablierten Lieferketten wie dem eigenen Heilpflanzengarten oder biologisch-dynamischer Landwirtschaft. Bei Mineralien hingegen liegen die Dinge anders – ihre Beschaffung ist eine echte Herausforderung. Amethyst kommt als Bestandteil einer Arzneimittelkomposition gegen verschiedene Hauterkrankungen zum Einsatz, unter anderem gegen Akne.
Wie wir Qualität definieren
„Stoffliche Qualität können wir per Laboranalyse prüfen und abbilden“, sagt Benjamin Wörz. „Doch wir achten auch auf weitere Qualitäten. Zum Beispiel darauf, dass alle, die an einem Rohstoff oder Endprodukt beteiligt sind, fair und gut behandelt werden!“ Konkret bedeutet das: angemessener Verdienst, Arbeitsschutz, keine Zwangs- oder Kinderarbeit – kurz: die Einhaltung der ILO-Kernarbeitsnormen. „Beim Mineral Amethyst interessieren wir uns auch dafür, wie mit dem Rohstoff umgegangen wurde“, so der Einkäufer. Wurden abgebrochene Spitzen wieder eingeklebt, wurde die Druse zum Schutz vor Bruch mit Beton ummantelt? „Es geht also um Prozessqualität. Wir brauchen Transparenz und eine lückenlose Rückverfolgbarkeit entlang der gesamten Lieferkette.“
Bei einer Druse handelt es sich um ein eiförmiges Gebilde mit einer Außenschicht aus Chalcedon, in deren Innerem sich die Kristalle gebildet haben.
Benjamin Wörz von naturamus dokumentiert in Brasilien sowohl Qualität als auch Verarbeitung von Amethyst-Drusen.
Foto: naturamus GmbH
Transparenz bei Herkunft und Abbau
naturamus ist bestrebt, für alle knapp 1.000 benötigten WALA Rohstoffe mindestens einen aktiven Lieferanten etabliert zu haben. „Amethyst kaufen wir bereits seit Jahren von einem kleinen Händler, der uns hochwertige Ware liefert“, berichtet Benjamin Wörz. „Ich bekomme zwar immer die gewünschte Menge zum gewünschten Zeitpunkt. Doch er importiert nicht selbst und weiß teilweise nicht, woher die Ware kommt und wie sie abgebaut wurde.“ Die benötigten Mengen seien ein weiterer Grund, parallel nach einem neuen Lieferweg zu suchen: „Von anderen Mineralien braucht die WALA nur wenige Gramm pro Jahr. Beim Amethyst sind es rund 30 Kilo.“
Reise nach Brasilien und Vor-Ort-Recherche
Und so nutzten Benjamin Wörz und Ralf Kunert, Geschäftsführer der naturamus GmbH, einen ohnehin geplanten Lieferantenbesuch in Südamerika zur Recherche in Sachen Amethyst. Martin Rozumek von der WALA Grundlagenforschung hatte zuvor über einen Bekannten Kontakt zum Betreiber eines kleinen Mineralienmuseums einer anthroposophischen Initiative vor Ort hergestellt. Gemeinsam mit ihm besuchte naturamus im brasilianischen Bundesstaat Rio Grande do Sul sowohl Händler als auch Exporteure, Verarbeiter und sogar die Amethyst-Minen. Immer mit der Frage im Kopf: Können wir eine eigene Lieferkette aufbauen, die unseren Beschaffungsgrundsätzen entspricht?
Kooperative sorgt für Standards
Benjamin Wörz erinnert sich: „Schließlich entdeckten wir die Kooperative Coogamai. Sie arbeitet vor Ort mit rund 200 Minen zusammen. Interessant ist, dass sie nicht im operativ-kaufmännischen Bereich tätig ist und daher keine Wirtschaftsinteressen vertritt – ein riesiger Pluspunkt!“ Vielmehr stellt Coogamai die für den Export nötigen Dokumente aus, bescheinigt den legalen Mineralienabbau sowie die Herkunft der Steine, den Namen der Mine und des Betreibers. Außerdem dient sie als Schnittstelle zu staatlichen Einrichtungen. Pro Druse verdient Coogamai einen kleinen Anteil. Dieser genügt, um die fünf medizinischen Mitarbeiter der Kooperative und den Geologen zu bezahlen, der sich unter anderem um die Renaturierung von Geröllhaufen kümmert, die außerhalb der Minen entstehen.
Martin Rozumek von der WALA Grundlagenforschung prüft das Innenleben der Amethyst-Druse.
Foto: Jigal Fichtner
Arbeitsschutz und medizinische Versorgung
Coogamai ist aber auch ein medizinisches Zentrum für die Arbeiter der kooperierenden Minen. Für sie gibt es zweimal im Jahr einen kostenlosen Gesundheitscheck, um unter anderem einer Staublunge vorzubeugen. Die Kooperative stellt aber auch Regeln für den Minenbetrieb auf: Der Betreiber muss Sicherheitsstiefel, Atemschutzmasken und professionelles Werkzeug wie Pressluftbohrer mit Wasserzufuhr zur Verfügung stellen, für Frischluft sorgen und die Stromleitungen sichern. Dieses Engagement kommt nicht von ungefähr: Der Gründer der Kooperative war in seiner Jugend selbst Minenarbeiter, „garimpeiro“ genannt. Auch er holte Amethyste aus dem Berg.
Erforderliche Abnahmemenge zu hoch für die WALA
An dieser Stelle könnte unsere Geschichte ein Happy End finden. Doch Benjamin Wörz ist frustriert: „Bisher scheitern wir mit unserem Vorhaben noch am Mengenproblem. Es gibt nämlich eine wirtschaftlich definierte Mindestabnahme für den Export. Wir müssten Steine im Wert von 10.000 US-Dollar kaufen. Dies entspricht einem Vorrat für viele Jahre. Den könnte die WALA einerseits gar nicht schnell genug aufbrauchen. Andererseits gingen in der Zeit bis zur nächsten Bestellung unsere persönlichen Kontakte wieder verloren. Eine solche Handelsbeziehung lebt vom Austausch und von der Regelmäßigkeit.“ Ein Jahr nach dem Besuch der Coogamai-Kooperative in Brasilien gelang es naturamus jedoch, einen kleinen Exporteur zur finden, der bereit war, ihnen geringere Mengen zu verkaufen. „Wir stellten natürlich die Bedingung, dass er unsere Mineralien aus Minen der Kooperative beziehen möge“, unterstreicht Benjamin Wörz.
Die richtigen Menschen miteinander verbinden
Doch auch an diesem Punkt ist naturamus noch nicht am Ziel. „Wir wünschen uns auf lange Sicht einen deutschen oder europäischen Importeur, den wir dauerhaft mit der Kooperative Coogamai verbinden können“, hofft Benjamin Wörz. „Amethyst ist ja nur einer von rund 300 Rohstoffen, die wir betreuen. Ja, wir haben hohe Ansprüche und lassen nicht locker. Aber irgendwann muss Routine einkehren – damit unser Aufwand im Alltag machbar bleibt.“ Und die Moral von der Geschichte? Benjamin Wörz lächelt: „Wir vertreten mit unserem Tun eine bestimmte Denkweise. Global betrachtet ist das vielleicht ein kleiner Beitrag. Aber wenn viele Unternehmen kleine Schritte in Richtung Nachhaltigkeit und Verantwortung tun – wie anders könnte unsere Welt dann morgen aussehen?“
TEXT: Elisabeth Menzel