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Weltweit wachsen

Für das Gespräch trafen wir uns mit Christoph Simpfendörfer, Generalsekretär der Biodynamischen Föderation Demeter International, auf dem Reyerhof in Stuttgart. Der Demeter-Hof wurde lange von Simpfendörfer selbst geführt.
Foto: Ilkay Karakurt

Herr Simpfendörfer, wieso setzt sich Demeter für die Verbreitung der biodynamischen Landwirtschaft ein?

Christoph Simpfendörfer:

Nicht nur in Deutschland ist diese Form des Landwirtschaftens ein wirksamer Weg, um Bodenfruchtbarkeit aufzubauen und Ernährungssicherung zu erreichen. Oft haben wir Böden, die verarmt sind und an Fruchtbarkeit verlieren. Ich habe gehört, dass in Österreich der Sojaertrag auf Bioböden mittlerweile höher ist als auf konventionellen Böden. Und in Ägypten hat der biodynamische Anbau von Baumwolle zu höheren Erträgen geführt. Mit dieser Form der Landwirtschaft wird Ernährungssicherheit erreicht und gleichzeitig eine Unabhängigkeit von teuren Düngemitteln oder Pestiziden geschaffen. Das Fehlen einer solchen Unabhängigkeit führte beispielsweise in Indien zu einer hohen Selbstmordwelle unter den Kleinbauern, weil sie ihre Schulden nicht mehr bezahlen konnten.

Weltweites Wachstum bedeutet, immer mehr Landwirte entsprechend zu schulen. Wie können die hohen Qualitätsstandards der biodynamischen Landwirtschaft eingehalten werden?

Christoph Simpfendörfer,:

In der Regel haben Menschen, die sich auf die Standards eines Demeter-Betriebs einlassen, schon eine Biotradition oder eine gewisse Begeisterung dafür, aber nicht immer. Je größer der Markt wird und je mehr Marktteilnehmer eintreten, desto weniger kann man sich auf den Idealismus der Menschen per se verlassen. Wir müssen schon genau hinschauen und kontrollieren. Die Demeter-Richtlinie besagt, dass keine Pestizide und keine chemisch-synthetischen Düngemittel eingesetzt werden dürfen. Wir machen Inspektionen zum Teil über Biokontrollstellen, führen aber auch eigene durch, und bei diesen Inspektionen werden immer auch Proben entnommen.

„Wir haben uns angewöhnt, dass wir ein volles Regal haben, in dem wir zwischen sieben Tomatensorten wählen können, und das ganzjährig.“ (Christoph Simpfendörfer)
Foto: Ilkay Karakurt

Allerdings wird dem fairen Handel oft vorgeworfen, dass durch die hohen Anforderungen für das Demeter-Siegel bestimmten Kleinproduzenten der Zugang zum Markt versperrt wird. Welche Lösungen finden Sie dafür?

Christoph Simpfendörfer:

Wir versuchen ein anderes Verfahren zu integrieren, ein partizipatives Zertifizierungsverfahren. Hierbei bauen wir mehr auf den sozialen und gemeinschaftlichen Aspekt als auf eine intensive Dokumentation. Durch Normen allein wird Qualität nicht gewährleistet. Ich muss gleichzeitig sicherstellen, dass die Leute, die die Prozesse machen, gut ausgebildet sind, dass sie wissen, was sie tun und worauf sie achten müssen. Wenn wir einen Käse kaufen, der gut schmeckt, dann ist das hauptsächlich wegen der Fähigkeit des Käsers so und nicht aufgrund der Regeln, die er eingehalten hat. Und es gibt viele Projekte, zum Beispiel über die Zukunftsstiftung Landwirtschaft der GLS Treuhand, in denen es darum geht, Kleinbauern zu schulen, beispielsweise wie sie sich mit ein paar Ziegen eine Vermarktung aufbauen und Fruchtbarkeit für ihr Gemüse sicherstellen.

Welche Herausforderungen bringt der Marktzuwachs an Bio- und Demeter-Produkten darüber hinaus mit sich?

Christoph Simpfendörfer:

Wir kämpfen dafür, dass die Bioverordnung streng genug bleibt. Dadurch, dass sich die biologische Anbauweise immer weiter verbreitet, ist es so, dass die industrielle Lobby versucht, bestimmte Dinge zu erlauben. Wir haben nach wie vor große Schlupflöcher in der Bioverordnung. Ein zentrales Problem besteht darin, dass eine Bioumstellung nie eine Betriebsumstellung ist, sondern stets nur eine Flächenumstellung. Das heißt, dass ein Betrieb Bioflächen und konventionelle Flächen gleichzeitig bewirtschaften kann. Häufig werden auch die Fruchtfolgen in der Praxis gar nicht überprüft. Und das ist eben der große Unterschied: Bei Demeter muss man den gesamten Betrieb umstellen und auch differenzierte Fruchtfolgen möglichst mit integrierter Tierhaltung haben.

Der Reyerhof basiert auf dem Konzept der solidarischen Landwirtschaft. 600 Verbraucherinnen und Verbraucher finanzieren den Demeter-Hof.
Foto: Ilkay Karakurt
Im Gegenzug erhalten sie unter anderem Obst und Gemüse aus eigenem Anbau.
Foto: Ilkay Karakurt
Der Hof ist außerdem ein beliebter Treffpunkt für Familien mit Kindern. Hier gibt es noch Kühe mit Hörnern, ein Merkmal der Demeter-Landwirtschaft.
Foto: Ilkay Karakurt

Viel Aufwand, der sich auch im Preis niederschlägt – nicht jede und jeder kann sich Demeter leisten, manche zögern daher beim Griff ins Regal. Wieso sollten sich Endverbraucherinnen und Endverbraucher trotzdem für ein Demeter-Produkt entscheiden?

Christoph Simpfendörfer:

Hierzu kann ich den Vergleich mit der Demeter-Banane anbringen: Denn meistens brauche ich nur eine Banane. Wenn ich ein Kind habe, reicht eine kleine Banane – und die Demeter-Banane ist oft kleiner als die konventionelle. Wenn ich den Preis der einzelnen Banane ansehe, dann ist Demeter sogar preiswerter, gleichzeitig aber geschmack- und gehaltvoller. Noch deutlicher ist es beim Brot: Wenn ich ein gehaltvolles Brot habe, dann esse ich zwei Scheiben und bin gesättigt. Das Brot hält eine Woche vor. Wenn ich ein Brot mit wenig Substanz kaufe, dann hält das vielleicht zwei Abende, weil es nicht nahrhaft ist und ich mehr davon benötige, um satt zu werden. Ich kenne Menschen mit kleinem Geldbeutel, die sich vorwiegend mit Demeter-Lebensmitteln ernähren, da ihnen das wichtig ist. Es kommt auch darauf an, wie man seinen Speiseplan zusammenstellt.

Beruflich sind Sie mit vielen Menschen unterschiedlicher Nationalitäten in Kontakt. Welche interkulturellen Unterschiede nehmen Sie wahr?

Christoph Simpfendörfer:

Sich bewusst Zeit zu nehmen für Mahlzeiten, das erlebe ich in anderen Kulturen stärker. Rhythmus ist gestaltete Zeit. Und das ist die Frage: Haben wir noch eine Kultur, in der wir die Zeit frei gestalten? Wir sagen „Freizeitgestaltung“, haben aber immer nur Aktivitäten im Blick, keine Ruhe und keine Pause. Viele Dinge werden parallel gemacht, statt sich bewusst Zeit für eine Sache zu nehmen. In Asien erlebe ich den Wechsel zwischen Aktivität und Meditation oder sonstigen kulturellen Pausen deutlich abgegrenzt. Auch die Frage der Feste ist bei vielen Kulturen deutlich klarer als bei uns. Feste sind mehr und mehr durch Konsum gekennzeichnet, dabei sollten sie uns doch auch einen Aspekt der Ruhe schenken.