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Spieglein, Spieglein an der Wand

Wann ist eine Frau schön? 6.000 Kilometer von hier entfernt, in einem Land, das vor allem aus Wüste besteht, würde man sagen: Eine Frau ist schön, wenn sie schön rund ist. Denn Körpermasse symbolisiert im afrikanischen Mauretanien Gesundheit; üppige Formen gelten deshalb als anziehend und verführerisch. „Je fülliger eine Frau, umso größer ist ihr Platz im Herzen ihres Mannes“, heißt es dort. Dieses Ideal wurzelt in einer Zeit vor mehreren hundert Jahren, als die meisten Mauretanier Nomaden waren. Eine mollige Frau stand für den Reichtum ihres Mannes, der in der Lage war, sie besonders gut zu ernähren.

Schönheit im Wandel der Zeit

Zu jeder Zeit, in jeder Kultur gab und gibt es Vorstellungen darüber, wie Schönheit auszusehen hat. Die Unterschiede sind beträchtlich, gerade das Gewichtsideal schwankt enorm. Während zum Beispiel hierzulande im Mittelalter noch grazile Mädchen mit kleinem Bäuchlein bewundert wurden, schwärmte man in der Renaissance von voluminösen Schenkeln, starken Hüften und einem Busen, der sich anfühlt wie „Berge geronnener Milch“, wie es ein zeitgenössischer Dichter ausdrückte. Erst im 18. Jahrhundert kam die Schlankheit langsam in Mode. In der Zeit des deutschen Sturm und Drang wurde mit der Jugend die zarte Form verehrt, in der Epoche der Romantik die Zerbrechlichkeit der Mädchen. Frauen begannen Essig und Zitronensaft zu trinken, um nicht allzu rund auszusehen. Noch einmal blühte im viktorianischen Zeitalter die Idee, dass Beleibtheit von Wohlstand kündete. Im 20. Jahrhundert war endgültig Schluss damit. Die Körperwaage wurde erfunden, Sport kam in Mode und die Werte änderten sich radikal: Der straffe Körper stand plötzlich für Erfolg und Disziplin. Mit kurzen Unterbrechungen, etwa nach dem Zweiten Weltkrieg, blieb dieses Diktat bis heute so.

Westliche Werte ändern alles

„Als schön gilt immer das schwer Erreichbare“, sagt die österreichische Soziologin Waltraud Posch. „Man kann deutlich aus der Geschichte erkennen, dass in Zeiten der Not der üppigere Körper als schöner gilt als der magere.“ Ist jedoch Nahrung im Überfluss vorhanden, erstrebt man eher den Verzicht. Eine kanadische Studie zeigte Ende der 80er-Jahre, dass auch der Status von Frauen eine Rolle spielt. Gerade unter beruflich erfolgreichen Frauen finden sich überdurchschnittlich viele besonders dünne. Doch wie die Mode ändert sich das Schönheitsideal manchmal in kürzester Zeit. Die Globalisierung trägt westliche Werte um die Welt. Ein Beispiel sind die Fidschi-Inseln, wo man auch lange für üppige Körperformen schwärmte. Mit der Einführung des Fernsehgeräts änderte sich das abrupt; unter dem Einfluss amerikanischer TV-Serien fanden sich junge Mädchen auf einmal zu dick. Auch Mauretanien, in dessen Hauptstadt kürzlich das erste Fitnessstudio für Frauen eröffnet hat, steht womöglich in einem solchen Wandel.

Authentisch zu sein liegt im Trend

Unser Bild von Schönheit prägt das, was wir täglich sehen. Und das sind auch hier mehrheitlich schlanke, faltenfreie, junge oder mindestens jung gebliebene Frauen auf Anzeigenseiten und Plakatwänden, auf den Titelbildern der Zeitschriften und im Fernsehen. Seit einigen Jahren, sagt Waltraud Posch, sei ein weiterer gesellschaftlicher Imperativ dazugekommen: authentisch zu sein, den eigenen Typ zu bewahren. Es ist modern, so dezent geschminkt zu sein, als wäre man es gar nicht. Selbst bei Schönheitsoperationen werden oft Eingriffe gewählt, die nur diskret den Lauf der Jahre korrigieren, die eine Frau etwa gerade so viel frischer wirken lassen, als käme sie soeben aus dem Urlaub. Viel beachtete Werbekampagnen und Zeitschriften propagieren nicht die Schönheit von Models, sondern die des Mädchens von nebenan. Wir richten uns nicht gern nach Normen, wir legen Wert auf unsere Individualität. Vor einem Jahrzehnt wurden in Deutschland Menschen befragt, ob sie sich vom Schönheitsideal unter Druck gesetzt fühlen. Nein, sagten knapp 80 Prozent. Und doch möchten wir nicht aus dem Rahmen fallen. Mehr als die Hälfte der Befragten wollte nicht schlechter aussehen, als es der Freundeskreis und das Arbeitsumfeld vorgab. Wer Schönheitsoperationen ablehnt, findet doch meist das alltägliche Verschönern selbstverständlich: Augenbrauen zupfen, Beine rasieren, Haare tönen. Werden Frauen gefragt, warum sie diesen Aufwand betreiben, sagen sie meist: „Ich tue es für mich.“ Die Soziologin Posch jedoch meint, dass wir gesellschaftliche Normen bereits so sehr verinnerlicht haben, dass wir sie als unsere eigenen betrachten. „Das Korsett ist in unseren Kopf gewandert“, sagt sie.

Was wir mit Liebe betrachten

Symmetrische Züge, glatte Haut und glänzendes Haar werden überall auf der Welt als schön empfunden – als sichtbares Versprechen für Fortpflanzungsfähigkeit und gute Gene. Doch Schönheit macht nicht unbedingt glücklich. Diese Verheißung ist falsch. Amerikanische Studien zeigten, dass hübsche Frauen nur unwesentlich zufriedener sind als weniger attraktive. Auch Models werden von Selbstzweifeln geplagt. Es ist ähnlich wie mit dem Reichtum: Man gewöhnt sich zu schnell an das, was man hat, und träumt von immer noch mehr, sei es Geld oder die optische Perfektion. Und doch geht eine ganz bestimmte Art von Schönheit mit Glück einher. Und dabei ist es egal, wie schlank die Beine, wie blau die Augen sind oder wie viel man wiegt. Das Geheimnis ist: Schönheit macht glücklich, wenn man sich selbst schön findet. Das haben Psychologen der Universität Chemnitz belegt. So meinten auch viele 50-Jährige bei einer Umfrage für ein amerikanisches Magazin, sie seien attraktiver geworden, als sie es mit 20 waren. Es ist ihr Selbstwertgefühl, das stieg. Für unser Wohlbefinden zählt weniger, was andere von uns denken und erwarten, sondern was wir selber von uns halten. Schön ist also, wen wir mit Liebe betrachten: Am meisten gilt das für uns selbst.

Dieser Artikel wurde erstmals in der viaWALA September 2012 veröffentlicht.