Was wollen Sie lesen? Entscheiden Sie sich für eines unserer Themen.
Elisabeth Sigmund hat immer wieder neu angefangen und ist doch nie vom eigenen Weg abgekommen. Sie war Pionierin für natürliche Kosmetik und so viel mehr.
Wien: Wo die Liebe zu den Blumen wächst
Wann fliegt eine Idee in den Kopf, setzt sich fest für ein ganzes Leben? Bei Elisabeth Sigmund geschah das, als sie den Toilettentisch ihrer Mutter inspizierte. Um das Jahr 1920 muss es gewesen sein, da war sie ein Grundschulkind, das an der Porzellandose mit der Mandelpaste und am Gesichtswasser aus Zaubernuss roch. Die Faszination für das Geheimnis der Pflanzen und deren Fähigkeit, den Menschen dabei zu unterstützen, Schönheit und Wohlbefinden hervorzubringen, begann vermutlich irgendwann in diesen stillen Momenten. Es wuchs etwas Großes daraus. Eine Berufung.
Die Großmutter führte das Mädchen durch ihren Garten, erzählte von den Blumen und verriet ihr das Rezept für die Crème Céleste, eine Gesichtscreme aus der böhmischen Heimat. Im Arbeitszimmer ihres Vaters entdeckte Elisabeth ein Heft mit gepressten Blüten, studierte es immer wieder. In der Gärtnerei gegenüber lernte sie, wie man Sträucher am Duft erkennt. Der Apotheker in der Nachbarschaft zeigte ihr, wie man Emulsionen herstellt, wässrige und ölige Bestandteile eint. Elisabeth legte Rosenblätter ein, gab ätherisches Öl dazu. „Die Cremes, die es zu kaufen gab, gefielen mir nicht, ich wollte deshalb selber rühren, mit Zutaten, die mir behagten“, erzählt sie später.
Aber erst als Elisabeth Sigmund nach zwei Semestern Medizinstudium Sätze von Rudolf Steiner las, bekam ihr Interesse eine neue Qualität. Steiner schrieb, dass dasjenige schön sei, was sein Inneres in seiner äußeren Gestalt zur Offenbarung bringt – Worte, die ihre eigenen Impulse zu einem sinnvollen Ganzen fügten. Von da an war Schönheit für Elisabeth Sigmund keine Äußerlichkeit mehr. Ihre Liebe zu Heilpflanzen und zur Ästhetik wurde zum Fundament ihrer Kosmetik.
Sie belegte Kurse bei Kosmetikfirmen, suchte in der Universitätsbibliothek nach alten Medizinbüchern: „Alle meine kosmetischen Versuche waren immer motiviert durch ein medizinisches Interesse, welche Heilpflanzen gut für die Haut sind und sie quasi heilen.“ Die Mutter verbot ihr, mit anderen über ihren Beruf zu sprechen, der „unschicklich“ war. Elisabeth Sigmund hielt das nicht auf. Sie stieg auf ihr Motorrad, fuhr zu Klosterbibliotheken aufs Land, recherchierte.
Stockholm: die eigene Naturkosmetik und der „Salong för Skönhetsvård“
Es war kein einfacher Neustart in Stockholm, 1948. Elisabeth und ihr Mann Karl hatten sich zum Auswandern entschlossen, zum Neuanfang. Ihr Mann schlug sich als Tankwart durch, arbeitete letztendlich als Fahrlehrer. Sie rappelte sich auf, hatte ja ihre Passion im Kopf, mixte weiter Pflanzenauszüge mit Bienenwachs oder Mandelöl – Zutaten, die sie in Bioqualität aus Deutschland und Österreich orderte, auch Arzneimittelampullen bei der WALA in Eckwälden bestellte sie, experimentierte mit Eibischwurzeln und Mandelmehl. Karl baute Apparaturen zum Abfüllen.
Ihre Kosmetik sollte die Haut unterstützen, indem sie die eigenen Regenerationskräfte anregt. Und die Frauen, denen Elisabeth Sigmund die Kreationen gab, waren tatsächlich begeistert. Als Elisabeth ein Kosmetikstudio, den „Salong för Skönhetsvård“ eröffnete, behandelte sie ihre Kundinnen auch mit einem Fußbad, Gesichtsgymnastik und einer Stimulation des Lymphsystems. Die Frauen sollten sich rundum entspannen. „Es gibt zwei Schönheiten, eine innere und eine äußere“, erklärte sie diesen ganzheitlichen Ansatz. Sie hatte den Traum zum Laufen gebracht.
Indien: der Sehnsucht folgen, den Kosmos erweitern
Was sie bewog, 1961 für ein Jahr nach Indien zu reisen? Die Gelegenheit! Sigmund liebte es, neue Kulturen kennen zu lernen, sie wollte die indische Medizin studieren, in die großen Bibliotheken gehen. Diese Kombination aus Reiselust und Wissensdurst zeugt von Selbstbewusstsein, Mut und großer Offenheit.
Eine moderne Frau, ihrer Zeit voraus. Weil der Sohn einer Freundin sich in Neu-Delhi aufhielt, hatte Elisabeth Sigmund eine Anlaufstelle, konnte das Land besuchen, auf das sie gespannt war, seit sie als Kind in Büchern darüber gelesen hatte. Und auch als anfangs alles schieflief, das Flugzeug nicht in Neu-Delhi, sondern in Mumbai landete, das Gepäck verloren ging, sie alleine auf der Straße stand, machte Elisabeth Sigmund nicht kehrt.
Sie verbrachte Stunden in der Universitätsbibliothek, entdeckte Heilpflanzen, die es in Europa nicht gab, zog über Märkte, kaufte neue Pflanzenzutaten, begegnete anderen Konzepten. Sie ließ sich von einem Arzt die ayurvedische Medizin erklären, lernte die pflegende Wirkung von Neem kennen, dem heiligen indischen Baum. Wissen, das später in ihre Rezepturen einfließen sollte.
Eckwälden: Naturkosmetik für die Welt
Als Elisabeth Sigmund 1962 erfuhr, dass die WALA nach Kosmetikerinnen suchte, die sie bei der Entwicklung von Kosmetikpräparaten unterstützen sollten, schrieb sie einen Brief, elf Seiten lang. Wochen später reiste sie nach Eckwälden, sprach über ihre Passion für die heilende und ästhetische Kraft der Pflanzen – und die WALA Entwickler wollten sie gleich dabehalten. Nicht nur die Besucherinnen eines Kosmetiksalons in Stockholm sollten von den Ideen dieser Frau profitieren!
Fünf Jahre später kam dann auch die Dr. Hauschka Heilende Kosmetik nach Elisabeth Sigmund auf den Markt: Gesichtsnährmilch, Rosencreme und Seidenpuder. Die Kosmetik war begehrt, sogar aus Südafrika kamen Bestellungen. Es war wieder so weit: Elisabeth Sigmund fing neu an, zog 1969 mit ihrem Mann nach Eckwälden. Die Leidenschaft trieb sie. Zu neuen Produkten, zu Vorträgen. Sie bildete Kosmetikerinnen aus. „Es ist unser Antlitz, das wir als Erstes offenbaren“, sagte sie. Noch mit 99 Jahren, kurz vor ihrem Tod 2013, war Elisabeth Sigmund nur geschminkt anzutreffen. Einen rosafarbenen Dr. Hauschka Lippenstift trug sie am liebsten.
TEXT: Kisten Küppers
FOTOS: WALA Archiv