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Dr. Philip Lettmann studierte Wirtschaftswissenschaften in Deutschland, Frankreich und England.
Herr Dr. Lettmann, Sie sind seit 2008 als Mitglied der Geschäftsleitung der WALA Heilmittel GmbH verantwortlich für Infrastruktur und Versorgung. Dazu gehören Finanzen, Umweltschutz, IT und viele weitere sogenannte unterstützende Funktionen. Was hat Sie für die WALA begeistert?
Bei dieser finanzierenden und unterstützenden Aufgabe geht es darum, die Arbeit der anderen, ihre Arbeit im unmittelbaren Kundenkontakt und am Produkt, also Beschaffung der Rohstoffe, Forschung, Entwicklung und Herstellung bis hin zum Vertrieb, reibungslos zu ermöglichen: Dazu gehörten von 2017 bis 2019 auch die Planung und Errichtung von zwei neuen Gebäuden mit modernster Technik – eines neuen Laborgebäudes und des neuen Vertriebs- und Logistikzentrums. Bei all diesen Tätigkeiten ist immer wieder entscheidend, dass wir bei der WALA im Rahmen eines Stiftungsunternehmens arbeiten, das einem sinnvollen Zweck dient. Das Stiftungsmodell war ausschlaggebend für mich, zur WALA zu wechseln, und es fasziniert mich nach wie vor.
Inwiefern macht es einen Unterschied, dass die WALA ein Stiftungsunternehmen ist?
Gesellschafter der GmbH ist die WALA Stiftung, wir haben keine privaten Kapitalgeber. Dieser unternehmerische Rahmen ist der praktische Ausdruck eines bestimmten Bildes der Wirtschaft: Im Vordergrund stehen der Kundenbedarf und die weiteren gesellschaftlichen Bedürfnisse, nicht der Kapitalwert von Unternehmen. Was meine ich damit? Beim Wirtschaften geht es zuallererst um die Produktion von Waren im Dienst der Bedürfnisse von anderen, von Kundinnen und Kunden und zugleich auch als Beitrag zur Entwicklung der Gesellschaft und der Umwelt. Die WALA Stiftung ist 1986 gegründet worden, weil die Gesellschafter damals ihr Kapital auf Dauer in den Dienst des Unternehmenszwecks stellen wollten. Dass das unternehmerische Ziel in der Steigerung des Kapitalwertes eines Unternehmens liegt, ist nach meiner Ansicht ein Zerrbild echten Wirtschaftens.
Sie kritisieren als Verantwortlicher für die Finanzen die Orientierung am finanziellen Wert des Unternehmens?
Ja, wer bei unternehmerischen Entscheidungen nur das Ziel verfolgt, den Kapitalwert des Unternehmens zu steigern, den sogenannten „Shareholder-Value“, dem geraten alle anderen Ziele und Wirkungen des Unternehmens, etwa soziale und ökologische, völlig aus dem Blick. Dann wird die Basis für jede Entscheidung auf eine einzige Größe reduziert. Alle anderen Facetten und Kriterien verschwinden aus der eigenen Wahrnehmung. Ich bin mit Begeisterung verantwortlich für die Finanzen; Zahlen faszinieren mich – aber nur, wenn man durch die Zahlen auch auf die soziale und ökologische Wirklichkeit schaut.
Was machen Sie bei der WALA anders?
Natürlich wollen auch wir Gewinn machen, um in die Zukunft zu investieren. Als Stiftungsunternehmen haben wir aber die Möglichkeit, mit einem sehr langfristigen Zeithorizont zu wirtschaften. Und wir nutzen die Möglichkeit, die Ziele und Wirkungen unseres Handelns sehr breit in den Blick zu nehmen. Gewinn an sich ist nicht gut oder schlecht. Es kommt eben darauf an, wie der Gewinn entstanden ist und wie er dann verwendet wird. Dabei geht es auch darum, Konflikte zwischen Renditezielen und ökologischen Zielen anzuschauen und damit unternehmerisch sinnvoll umzugehen.
Ist die WALA als Stiftung prinzipiell nachhaltiger als andere Unternehmen?
Garantieren kann diese institutionelle Form einer Stiftung die Nachhaltigkeit nicht. Aber die Struktur der Stiftung ist auf Langfristigkeit ausgerichtet. Das prägt das Denken und Handeln. Nach meiner Erfahrung zieht eine solche Struktur auch Menschen an, die gerne auf langfristig sinnvolle Ziele hinarbeiten wollen und dem Gemeinwohl verpflichtet sind.
Zur Struktur kommt natürlich auch ein spezifischer Zweck hinzu, der unsere unternehmerische Wertschöpfung in eine – ökologisch betrachtet – sinnvolle Richtung lenkt. Vom Gründungsimpuls her sind wir dem Heilen verpflichtet, stellen wir doch besondere, auf natürlichen Ausgangsstoffen basierende Arzneimittel und Kosmetika her. Unsere Gründer waren aber auch bereits vor 70 Jahren „Trend-Leader“ für ökologisches und nachhaltiges Wirtschaften. Damals war dieser Trend wirtschaftlich und politisch noch gar nicht relevant. Zu einer solchen nachhaltigen Wertschöpfung gehört auch, dass unsere Rohstoffe fast ausschließlich aus biologisch-dynamischem Anbau stammen – die Heilpflanzen zum großen Teil aus unserem eigenen Garten. Auch das ist ein Beitrag zum Klimaschutz. Aber darauf können wir uns nicht ausruhen.
Welche Ansatzpunkte sehen Sie im Rahmen des Umweltmanagements?
Auslöser vieler Verbesserungen sind unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die sehr engagiert sind und ihre Ideen permanent einbringen. Hier gilt es, Freiräume zu eröffnen, um dieses Engagement wirksam werden zu lassen. Darüber hinaus haben wir in den letzten Jahren unser Umweltmanagementsystem permanent weiterentwickelt. Technologie-, Material- und Investitionsentscheidungen betrachten wir immer auch unter Umweltgesichtspunkten. Wenn es uns sinnvoll erscheint, darf eine Umweltschutz- bzw. Klimainvestition sich auch erst nach zehn oder mehr Jahren bezahlt machen. Das klingt simpel, ist aber in der Wirtschaftswelt durchaus unüblich.
Neuerdings setzen auch große börsennotierte Konzerne auf gesellschaftlich sinnvolle Zwecke, auf „Purpose“, „Stakeholder-Value“, „inklusiven Kapitalismus“ und Nachhaltigkeit. Alles nur Gerede?
Das ist sicher noch nicht der ganz große Paradigmenwechsel, den wir eigentlich brauchen. Aber ich sehe da schon eine neue Ernsthaftigkeit, zumindest einen neuen Anlauf im Sinne eines Suchprozesses. Auch große, institutionelle Investoren haben ja erkannt, dass durch die ausschließliche Fokussierung der letzten Jahrzehnte auf die Steigerung des sogenannten Shareholder-Value wirtschaftliche Werte vernichtet werden.
Was könnte denn ein anderes wirtschaftliches Paradigma sein?
Das Neue muss sich aus dem konkreten Handeln heraus entwickeln. Wir versuchen, durch unser unternehmerisches Handeln einem anderen Bild der Wirtschaft Geltung zu verleihen: Unseren Kundinnen und Kunden wollen wir exzellente Naturkosmetik und Arzneimittel auf Basis unseres Heilpflanzenwissens bieten, gestützt auf Wissenschaft und professionelle, moderne Verfahrenstechnik. Im Streben nach diesem Ziel sehen wir unsere größte soziale Wirksamkeit.
Das war und ist ein ganz konkreter, gemeinsamer sozialer Prozess: gemeinsam mit unseren Partnern in der Wertschöpfungskette und in der Region – und mit unseren Kundinnen und Kunden. Da geht es jedem Partner um weit mehr als nur um das Durchsetzen des jeweiligen Egoismus. Damit ist sicherlich noch kein fertiges neues Paradigma formuliert. Aber es ist ein anderes Leitbild, das sich in vielen einzelnen Schritten realisiert.
Engagiert sich die WALA darüber hinaus im erwähnten Suchprozess?
Wir sind Teil einer Initiative, die der Suche nach neuen gesellschaftsrechtlichen Formen für Unternehmen gewidmet ist: GTREU – Gesellschaft treuhändischer Unternehmen . Es geht darum, angemessene Strukturen für solche Unternehmerinnen und Unternehmer zu definieren, die ihr Unternehmen dauerhaft in die Eigenständigkeit entlassen wollen und dabei privates Eigentum nicht als Voraussetzung erachten. Das sind also Fälle, die der WALA ähnlich sind. Diese Suche gewinnt an Bedeutung – unter anderem auch in der Start-up-Szene. Natürlich sind wir darüber hinaus in vielen Initiativen und Verbänden engagiert, die der nachhaltigen Entwicklung im Gesundheitssektor, in der Wirtschaft und mit Blick auf die politischen Rahmenbedingungen insgesamt dienen.
Sie sind als Vorsitzender des Aufsichtsrats der GLS Gemeinschaftsbank zudem im Bankwesen engagiert. Was treibt Sie an, diese Verantwortung zu tragen?
Die GLS Gemeinschaftsbank steht seit mehr als 45 Jahren mit Erfolg und großer Anziehungskraft für einen anderen Umgang mit Geld, für ein sozial und ökologisch verantwortliches Bankwesen. Sie spielt damit eine entscheidende Rolle als Pionierin und Treiberin sozialer und ökologischer Innovationen. Auch das ist ein wichtiger Beitrag zum Paradigmenwechsel. Dafür wurde die Rechtsform einer Genossenschaft gewählt, die es vielen Menschen ermöglicht, sich unmittelbar an der Entwicklung ihrer eigenen Bank zu beteiligen. Es fasziniert mich, das Engagement für eine andere Wirtschaftsweise auch im Finanzsektor begleiten zu dürfen.
Herzlichen Dank für das Gespräch.