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Zeit-Genossen

Herr Dr. Stellmann, können Sie sich noch erinnern, wann Sie das erste Mal mit der WALA in Berührung kamen?

Johannes Stellmann:

Unbewusst wohl schon bei meiner Geburt. Die Nabelschnur war fünfmal um meinen Hals gewickelt. Und dann war Arnika angesagt, von der WALA. Ganz bewusst erinnere ich mich an die Dr. Hauschka Kosmetik meiner Mutter. Mit der bin ich aufgewachsen. Noch in dem klassischen grau-weißen Design. Ich weiß noch, wie es roch, ich weiß noch, wie es wirkte, wenn meine Mutter Dr. Hauschka aufgetragen hatte. Dieser leichte, feine Glanz …

Ist das ein Grund, warum Sie nur wenige, oberflächliche Veränderungen angestoßen haben in all den Jahren? Dr. Hauschka ist ja berühmt für sein klassisch zurückhaltendes Verpackungsdesign?

Johannes Stellmann:

Nein, diese Zurückhaltung entspricht eher den Werten der WALA als meinen Kindheitserinnerungen. In diesem Unternehmen standen immer die Produkte im Vordergrund. Und die Prozesse, die sie auslösen. Es wurde nie viel werbliches Tamtam darum gemacht.

Herr Dr. Lettmann, jetzt sind Sie am Ruder. Und in anderen Firmen muss ein neuer CEO oft schnell für sichtbare Veränderungen sorgen. Machen Sie jetzt als Erstes die Verpackungen neu?

Philip Lettmann:

Nein, das werde ich nicht tun. Mir geht es genauso wenig um Oberflächlichkeiten wie Johannes. Ich sehe für die WALA keine Revolution, sondern eher eine Evolution. Mir geht es um Entwicklung, um das Bild der Metamorphose – nach einiger Zeit erscheint vielleicht etwas ganz anderes, das dennoch im Inneren genau gleich ist, den gleichen Grundsätzen, den gleichen Prinzipien entspricht.

Gibt es im Rahmen dieser Metamorphose der WALA Themen, bei denen Sie sich besonders intensiv einbringen möchten?

Philip Lettmann:

Ja, meine Aufmerksamkeit wird vor allem vier Punkten gelten: Einmal natürlich den Kundinnen und Kunden, Patienten und Patientinnen. Dann dem Thema Rhythmus, das die WALA so besonders macht, da haben wir noch ganz viel Potenzial. Der dritte Punkt ist das Thema Entwicklung – des einzelnen Menschen, aber auch der Organisation. Und der vierte ist das Thema Geist und Materie. Für mich ist es eine tiefe Selbstverständlichkeit, dass wir das Zusammenwirken von Geist und Materie, die Grundlage der WALA, nicht nur leben, sondern auch erklären sollten.

Können Sie sich noch erinnern, wann Sie die WALA das erste Mal bewusst wahrgenommen haben?

Philip Lettmann:

Ja, das war eine Stellenanzeige in der FAZ. Es wurde der Abteilungsleiter Finanzen gesucht, von einer Firma „WALA“. Die kannte ich nicht. Aber da stand auch etwas von „Dr. Hauschka Kosmetik“. Und ich wusste: Wenn meine Frau sich etwas ganz Besonderes gönnen möchte, dann kauft sie Dr. Hauschka Kosmetik. Also habe ich gesagt: Da fahre ich mal hin.

Johannes Stellmann:

Und als ich die Bewerbung von Philip in der Hand hatte, habe ich gedacht: Der muss unbedingt zu uns kommen.

Was war denn das Besondere an dem Bewerber Lettmann?

Johannes Stellmann:

Einerseits die enorme Professionalität. Der Lebenslauf eines mit allen Wassern gewaschenen Finanzexperten. Aber es schienen auch seine Werte durch, sein echtes Interesse für Menschen. Am Ende war es das erste Bewerbungsgespräch, bei dem die Kinder des Kandidaten, damals noch sehr klein, mit in der Cafeteria waren.

Philip Lettmann:

Wir wohnten damals in München. Die Familie war in der Gegend unterwegs, während wir die Gespräche geführt haben. Dann hieß es: Ja, bringen Sie die doch einfach mal mit zum Mittagessen. Also saßen wir in der Cafeteria, die Kinder spielten und das bestätigte meinen ersten Eindruck: Das ist schon eine besondere Unternehmung.

Johannes Stellmann:

Meine innere Haltung war rückblickend völlig unprofessionell. Denn ich hatte mich eigentlich schon entschieden, als ich diesen Lebenslauf in der Hand hatte. Und dann versuchte ich wieder einen gewissen Abstand aufzubauen. Aber wir alle kennen Philip Lettmann, der war noch professioneller und noch seriöser, als er mit seinem Lebenslauf ohnehin schon wirkte. Doch er erzählte eben auch, wo er seine Frau kennengelernt hatte. Darf ich sagen, wo?

Philip Lettmann:

Ja, bitte.

Johannes Stellmann:

Bei einem Clown-Kurs. Und das war es wohl, was ich in dieser Bewerbung zwischen den Zeilen gelesen hatte …

Philip Lettmann:

Bei mir war es ähnlich persönlich. Dieser Johannes Stellmann als Referenz der WALA: Da war jemand, der klare Orientierungen hatte, einen Standpunkt und gleichzeitig große Offenheit, echtes Interesse und immer wieder die Möglichkeit, beweglich zu sein. Die Kombination aus Festigkeit und Beweglichkeit, das hat mich sehr beeindruckt. Und so bin ich nach Bad Boll gekommen, aus der großen Stadt. Mit meiner Frau, unseren zwei Kindern, dem Hund und allem, was dazugehört.

Herr Stellmann, wie war das bei Ihnen damals, als Sie hier angefangen hatten?

Johannes Stellmann:

Ich hatte ja gewissermaßen drei Anfänge hier. Der erste war in der Stiftung, im Sommer 1998. Dort blieb ich vier Jahre. Und dann kam der Tag des Schreckens. Ende April 2002 verunglückte der damalige Geschäftsführer tödlich, zusammen mit dem damaligen Ressortleiter Wissenschaft und einem seiner Kinder. Die Firma war ohnehin schon in einer schwierigen Situation, in jeder Hinsicht. Und Samstagnachmittag rief Karl Kossmann an, einer der beiden Stifter: „Sie wissen, welche Frage wir Ihnen morgen stellen werden?“ Und ich habe am Telefon gesagt: „Und Sie wissen, Herr Kossmann, ich sage nicht ja.“ Denn ich hatte mich gerade selbstständig gemacht, das war ein Jugendtraum von mir und es fing gerade an, richtig gut zu laufen. Ich habe zur Stiftung gesagt: „Ich mache es, werde die richtige Persönlichkeit finden, arbeite die ein und dann gehe ich wieder.“ Es folgte eine berührende Zeit in dieser so anderen Firma, mit so wesentlichen Arzneimitteln, mit beginnenden Rohstoff-Partnerschaften auf der einen Seite und einer fast mondänen Kosmetik auf der anderen Seite. Ich bin nach diesen zweieinhalb Monaten zu Wolfgang Schuster gegangen, der schon damals Präsident des Stiftungsrates war, und habe gesagt: „Herr Schuster, ich bewerbe mich.“

Dr. Johannes Stellmann wirkte über 20 Jahre in der Führung der WALA.

Was würden Sie sagen, was die größten Unterschiede und Gemeinsamkeiten sind, zwischen der WALA vor 20 Jahren und heute?

Johannes Stellmann:

Sie war definitiv wesentlich kleiner und noch sehr fixiert auf sich selbst. Aber dieses Pionierhafte, diese Lust, immer mal wieder ein Risiko einzugehen, das war damals so und das ist heute so. Und es waren auch damals schon beeindruckende Persönlichkeiten am Werk, die den Kern der WALA mit Argusaugen bewachten. Es ging immer um ganz fundamentale Werte und darüber wurde nicht diskutiert. Das war für die Öffnung der WALA, die wir uns dann vorgenommen haben, nicht immer einfach. Aber es hat mich zunächst einmal sehr beeindruckt.

Und doch waren Sie sehr jung damals und mussten von einem Moment auf den anderen dieses eigenartige Tun verantworten.

Johannes Stellmann:

Ja, das stimmt schon. Als Geschäftsführer der WALA trifft man kaum eine Entscheidung selbst, muss aber 99,9 % der Entscheidungen verantworten. Ich hatte allerdings den Vorteil, wie Philip Lettmann heute auch, dass ich zuvor in der Stiftung tätig war und dadurch die Firma bereits recht gut kannte. Aber die Probleme lagen dann, wie so oft, im Detail.

Können Sie uns heute, nach all den Jahren, eine Episode verraten?

Johannes Stellmann:

Als ich anfing, waren die Finanzen tatsächlich ein einziges Chaos. Wir hatten keine Liquidität, viele Schulden. Und dann kommt eines Tages leichenblass der damalige Finanzer und meldete: „Wir haben falsche Zahlen an die Bank gemeldet: Uns ist eine Artikelnummer in den Umsatz reingerutscht.“ Ich habe nur gesagt: „Hoffentlich ging die Artikelnummer mit eins los und nicht mit neun.“ Aber sie ging natürlich mit neun los. Ich habe gesagt: „Jetzt müssen wir die Ohren anlegen und bloß nichts der Bank sagen. Wenn wir der sagen, dass wir Artikelnummern an Stelle des Umsatzes eingeben, dann wird sie richtig nervös.“ Dadurch, dass wir dann so stark wuchsen, war das am Ende völlig egal. Aber es war einfach der Zustand, in dem diese Firma war. Erst nach etwa einem Jahr war es so weit, dass wir wieder ernsthaft und in Ruhe über die Zukunft nachdenken konnten.

Und wenn Sie jetzt zurückblicken über diese lange Zeit: Gibt es Themen, die Sie nicht umsetzen konnten, oder Dinge, die Sie vielleicht noch nicht geschafft haben?

Johannes Stellmann:

Klar, jede Menge. Ein Unternehmen ist immer im Zustand eines labilen Gleichgewichts. Und diese Firma, die sich freiwillig die ganze Zeit überfordert, sowieso. Es gibt tatsächlich jede Menge Baustellen in der WALA. Und Philip ist sehr großzügig, er zeigt nicht auf jede einzelne mit dem Finger.

Herr Lettmann, wenn Sie jetzt die Führung übernehmen, dann können wir davon ausgehen, dass Sie die Zahlen im Griff haben. Aber wie blicken Sie auf die Eigenarten der WALA?

Philip Lettmann:

Die Zahlen habe ja nicht ich allein im Griff, sondern die haben wir gemeinsam im Griff. Und in den 17 Jahren, die ich jetzt da bin, waren mir immer beide Seiten wichtig. Zum einen die Zahlen, Daten, Fakten. Aber eben auch die andere Seite: das ganze Immaterielle, die Menschen, die Prozesse, unsere Werte. Das ist kein Entweder-oder, sondern ein Sowohl-als-auch. Das immer wieder gut in Verbindung zu bringen, das ist für mich, heute wie gestern, die Aufgabe.

Das klingt vermutlich einfacher, als es ist. Und dennoch: Gibt es darüber hinaus nicht so etwas wie eine neue Vision?

Philip Lettmann:

Es gibt schon eine Vision, aber so wie bei Johannes ist es nicht meine persönliche. Ich denke, es verbindet uns, dass wir schon sehr gerne sehr weit in die Zukunft schauen. Aber wir haben hier den großen Vorteil, dass die Gründerinnen und Gründer die Vision der WALA schon angelegt haben. Diese Vision reicht weit, weit in die Zukunft. Heilen, mit lebendigen Prozessen, in Verbindung von Natur und Mensch. Und insofern ist es, glaube ich, keine Frage der persönlichen Vision. Sondern es ist eher die Frage, wie es uns gelingt, diese Vision der Gründerinnen und Gründer auch in der Gemeinschaft immer wieder neu zu beleben.

Wie kann es denn gelingen?

Philip Lettmann:

Mein Bild ist das der Zeitgenossenschaft. Ich glaube, wenn es uns in unserer Zeit mit unseren Mitmenschen gelingt, diese übernommene Vision lebendig zu halten, dann werden wir gut in die Zukunft kommen.

Herr Stellmann, was unterscheidet denn die Zeit vor 25 Jahren in Bezug auf die WALA von der Zeit, deren Genosse jetzt der CEO Philip Lettmann ist?

Johannes Stellmann:

Damals waren wir sozusagen beim Take-off der Naturkosmetik dabei. Weil zum ersten Mal die Lieferanten in der Lage waren, Dinge in der hohen Qualität herzustellen, die wir brauchen, und weil die Nachfrage richtig anzog. Es gab echte Protagonisten, und die berühmteste war damals Julia Roberts, die man noch sehr fokussiert in sehr wenigen Medien wahrnahm. Heute sind die Medien atomisiert in Insta und Facebook und YouTube und, und, und. Der Markt ist viel etablierter, mit ständig neuen Wettbewerbern. Und die Großen der Branche entdecken die Naturkosmetik für sich, von den Eigenmarken der Handelsriesen ganz zu schweigen. Im Vergleich zu dem Dschungel, in den Philip jetzt muss, lebten wir damals auf einer Insel der Seligen.

Herr Lettmann, wie wollen Sie dieser Herausforderung begegnen? Sie sagten ja bereits, dass den Kunden und Kundinnen ihre erste Aufmerksamkeit gilt.

Philip Lettmann:

Die besondere Herausforderung ist vielleicht, dass wir es früher mit Kundinnen zu tun hatten, für die das, was wir hier tun, eine größere Selbstverständlichkeit hatte. Heute müssen wir erst einmal erklären, was wir tun. Erklären, nicht belehren. Und das ist eine Frage der Kommunikation. Deren Bedeutung ist ganz sicher enorm gewachsen.

Dr. Philip Lettmann übernimmt am 1. April 2022 den Vorsitz der Geschäftsführung der WALA.

Wie sehen Sie das denn im Bereich Arzneimittel? Da sind Sie beide ja in Zukunft Partner. Im Sektor, ihrer neuen Heimat, Herr Stellmann, und in der WALA stellen sich ähnliche Fragen.

Johannes Stellmann:

Auch bei den Arzneimitteln haben wir heute eine ganz andere Zeit. Damals waren die gesetzlichen Rahmenbedingungen sehr viel lockerer. Und die Menschen waren entweder Fans oder eben vollkommen gleichgültig uns gegenüber. Heute sind die gesetzlichen Rahmenbedingungen massiv verengt. Und es gibt die Paradoxie: einerseits erbitterte Kritik, andererseits ein großes Interesse an unserer Therapieform. Ein Interesse, das heute auch selbstbewusst gegenüber den Ärzten kommuniziert wird, die früher noch als Halbgötter in Weiß galten.

Philip Lettmann:

Die Situation ist tatsächlich in beiden Segmenten ähnlich. Und das hilft uns. Denn im Grunde genommen gilt bei uns: Wenn wir über die Kosmetik sprechen, sprechen wir über die Arzneimittel, und wenn wir über die Arzneimittel sprechen, sprechen wir über die Kosmetik. Wir können die WALA nur als eine Einheit von Kosmetik und Arzneimitteln verstehen. Es geht um Gesundheit, es geht um die Frage: „Wie kann ich Gesundheit unterstützen, indem ich lebendige Prozesse anrege in den Menschen und in unserer Gesellschaft?“ Diese Frage beantworten wir aus der Vision unserer Gründer und im Dialog mit unseren Zeitgenossinnen und Zeitgenossen.

Von den Zeitgenossen zum Schluss noch einmal zu Ihnen beiden persönlich. Sie waren ja nicht erst die letzten drei Monate, in denen man Sie beide nur als Pärchen erleben konnte, sondern auch davor sehr lange sehr enge Genossen bei der Arbeit für die WALA. Gibt es etwas, was Ihre besondere Zusammenarbeit illustrieren kann?

Philip Lettmann:

Ja, das Käsebrot. Natürlich gab es die vielen gemeinsamen Reisen, auf denen wir immer wieder mal Zeit hatten, zu philosophieren. Und da stellten wir fest: Es verbindet uns tatsächlich sehr viel mehr als die berufliche Tätigkeit für die WALA. Und eine Facette davon ist – das Käsebrot. Dass jeder von uns beiden unabhängig von dem anderen immer ein Käsebrot dabeihatte. Der Käse und das Brot kommen bei uns beiden immer vom Sonnenhof, das ist ja der Demeter-Hof der WALA. Wir haben also ganz sicher eine sehr weite und tiefe geistige Verbindung – und die wird dann sehr materiell, bis ins Käsebrot hinein. Das man sich, wenn Not am Mann ist, gut auch mal brüderlich teilen kann.

Vielen Dank für das Gespräch.