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Mit Waldbingelkraut gegen Entzündungen

Das Waldbingelkraut (Mercurialis perennis) bedeckt als eine der ersten Pflanzen im Frühjahr den Waldboden
Foto: Arne Schneider

Ein Waldspaziergang Ende März. Die Vögel singen vom Frühling, während die Pflanzen noch halb im Winterschlaf verharren. Doch nicht alle. Auf dem kaum beschatteten Waldboden arbeiten sich unscheinbare grüne Pflänzchen durch das trockene Laub. Von der Blattform her erinnern sie an Bärlauch. Ihre Blätter haben allerdings fein gezähnte Ränder und wirken im Sonnenlicht bläulich grün. Wir haben Waldbingelkraut entdeckt, das die noch lichte Jahreszeit im Wald nutzt, um ohne Konkurrenz durch andere Pflanzen üppig gedeihen zu können.

Dr. Peter Lorenz hat es diese unscheinbare Pflanze angetan. Für ihn als Chemiker birgt sie eine Menge Geheimnisse. Als erfahrenster Kollege der Phytochemischen Forschung der WALA Heilmittel GmbH beschäftigt er sich seit 2009 mit dieser alten Heilpflanze, die zu den Wolfsmilchgewächsen gehört. Zusammen mit den Doktoranden in seiner Gruppe ist er am liebsten neuen Substanzen auf der Spur. Dabei sind in zehn Jahren sieben Publikationen über das Bingelkraut in den Laboren der WALA entstanden.

Eine unerwartete Entdeckung des Teams war, dass Waldbingelkraut so genannte n-Alkylresorcine enthält. Diese Stoffgruppe gehört zu den sekundären Pflanzenstoffen, die die Pflanze als Abwehrmechanismus gegen Fressfeinde entwickelt. Im menschlichen Organismus haben sie entzündungshemmende Eigenschaften. n-Alkylresorcine waren bis dahin nicht in Wolfsmilchgewächsen beschrieben.1

Forschung, die Grundlagen schafft

Warum ist es interessant, bisher nicht beschriebenen Substanzen in einer Pflanze nachzugehen, fragten wir Peter Lorenz. „Die primäre Aufgabe unseres Teams ist Grundlagenforschung, die Wissen generiert. Auf einzelnen Erkenntnissen aufbauend können wir weitere Fragen stellen. Manchmal sehen wir die Relevanz von einigen Ergebnissen zunächst gar nicht. Aber später können sie uns an anderer Stelle weiterbringen.“ Viele der großen Entdeckungen hätten sich aus ganz unbedeutend erscheinenden Ergebnissen heraus entwickelt. „Manchmal müssen wir die Dinge erst einmal isoliert betrachten, weil wir sonst den Wald vor lauter Bäumen nicht sehen.“

Aber in welchem Bereich könnten seine Ergebnisse unterstützen? „Wir arbeiten eng mit der Abteilung Klinische Forschung bei uns in Haus zusammen, die sich mit Wirksamkeitsnachweisen für die WALA Arzneimittel beschäftigt. Für sie ist es hilfreich, Wirkmechanismen der verarbeiteten Heilpflanzen zu verstehen“ sagt Peter Lorenz. Und genau darum ging es bei den weiteren Untersuchungen. Das Forschungsteam nahm den wässrig-fermentierten Bingelkraut-Auszug in den Fokus, der in WALA Arzneimitteln gegen Entzündungen enthalten ist.

Entzündungen hemmen – nicht immer das richtige Ziel

Entzündungen sind eigentlich ein gutes Zeichen. Erhitzung und Rötung des entzündeten Gewebes sind ein Zeichen dafür, dass sich unsere Immunzellen auf krankheitserregende Eindringlinge gestürzt haben und beim Kampf gegen sie ordentlich ins Schwitzen geraten sind. Um im Labor zu testen, ob der Bingelkraut-Extrakt entzündungshemmend ist, muss man also die Wirkung auf die Immunzellen untersuchen. Genau das tat Peter Lorenz mit seinen Forscherkollegen mithilfe isolierter Immunzellen. Das Ergebnis ließ sie im ersten Moment staunen: Der wässrig-fermentierte Bingelkraut-Auszug dämpfte die Aktivität der Immunzellen nicht, sondern erhöhte sie sogar.2

Auf den zweiten Blick ist dieses Ergebnis logisch. WALA Arzneimittel mit Bingelkraut-Auszug helfen dabei, schlecht heilende, eitrige Wunden ausheilen zu lassen. In diesen Fällen sind die Immunzellen quasi zu müde. Sie noch weiter zu hemmen, wäre der falsche Weg. Sie zu aktivieren dagegen genau der richtige. Lokal angewendet, stimuliert der Bingelkraut-Extrakt das Immunsystem direkt am Ort der Entzündung und regt damit den stagnierten Heilungsprozess chronischer Entzündungen an. Bleibt nur die Frage, welche Substanzen immunstimulierend wirken. Nach einer Antwort haben sich also wieder neue Fragen aufgetan.

1 Lorenz P, Knödler M, Berger M et al. n-Alkylresorcinol occurence in Mercurialis perennis L. (Euphorbiaceae). Z Naturforsch C 2010; 65: 174–179.

2 Lorenz P, Beckmann C, Felenda J et al. Das Waldbingelkraut (Mercurialis perennis L.). Z Phytother 2013; 34: 40–46.