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Die Schattenseite des Lichts

Der Astronom Harald Bardenhagen leitet eine Sternwarte in der Eifel und setzt sich mit Leidenschaft für belastungsarme Beleuchtung ein.
Foto: Nikola Taćevski

Im Westen geht die Sonne unter und der Tag geht zu Ende. Kühle Dämmerung läutet die berühmte „blaue Stunde“ ein. Bald senkt sich schwarze Nacht über das Land. So weit, so bekannt. Noch vor 150 Jahren richtete der Mensch seinen Tagesablauf nach der Sonne, denn für sein Tagwerk brauchte er Licht. Im Jahr 1879 kündigte sich jedoch eine Revolution an: Thomas Edison entwickelte einen beständigen Glühfaden aus Bambuskohlefasern, der eine Brenndauer von gut 40 Stunden erreichte. Und so hielt bereits um 1890 die Glühlampe triumphierend Einzug in private Haushalte und Industriehallen. Seit dieser Zeit ist die Menschheit nicht mehr abhängig von der Uhrzeit, vom Tageslicht. Die Nacht, wie man sie bisher kannte, war Geschichte.

Phänomen Lichtverschmutzung

„Der moderne Mensch wächst in einer beleuchteten Nacht auf“, erläutert Harald Bardenhagen. Der Astronom (Jahrgang 1957) leitet eine Sternwarte in der Eifel1 und setzt sich mit Leidenschaft für belastungsarme Beleuchtung ein. „Grundsätzlich ist Licht ja etwas Positives. Das war schon immer so und das darf auch so sein. Doch künstliche Beleuchtung in der Nacht hat leider auch Schattenseiten.“ Der Begriff Lichtverschmutzung, abgeleitet vom englischen Ausdruck „Light Pollution“, bezeichnet unter anderem die Aufhellung des Nachthimmels durch menschengemachte Lichtquellen. Kunstlicht erschwert mitunter erheblich den Blick auf den Sternhimmel, weshalb es Astronomen wie Bardenhagen waren, die diesen Umstand erstmals schmerzlich erkannten. „Nach oben strahlendes Licht bricht sich an Staubteilchen, an Aerosolen und Luftmolekülen und wird von ihnen gestreut“, sagt der Forscher. Lichtsmog entsteht. Dabei hat direkt nach oben abstrahlendes Licht aus nicht adäquat eingerichteten Lichtquellen für uns Menschen überhaupt keinen Nutzen. Der Preis, den wir und alle Geschöpfe der Erde für die Aufhellung des Nachthimmels bezahlen, ist hoch und hat weitreichende ökologische Konsequenzen.

Dieses Foto der hell erleuchteten deutschen Großstadt Köln zeigt eindrucksvoll die Auswirkungen von Lichtverschmutzung.
Foto: Harald Bardenhagen

Auswirkungen auf Mensch, Tier und Pflanze

Das Leben auf der Erde hat sich in 3,7 Milliarden Jahren unter einem Rhythmus von Tageslicht und Dunkelheit entwickelt: Tagaktive Lebewesen, zu denen auch die Menschen gehören, benötigen die Nacht für Schlaf, Entspannung und Regeneration. Nachtaktive Geschöpfe hingegen gehen im Schutz der Dunkelheit auf Nahrungssuche oder nutzen sie – wie Glühwürmchen – für Partnersuche und Fortpflanzung. Pflanzen wiederum benötigen den Wechsel zwischen Hell und Dunkel für ihre Photosynthese.

Zu viel künstliches Licht unterdrückt zum Beispiel die Produktion des Schlafhormons Melatonin, das die innere Uhr des Menschen steuert. Bekanntlich kann Licht auch zu Schlafstörungen führen. Eine besonders dramatische Auswirkung hat Beleuchtung während der Nacht auf Vögel, denn sie stört die Orientierung des nächtlichen Flugs. Im schlimmsten Fall kollidieren die Tiere mit hell angestrahlten Hochhäusern. Zugvögel fliegen teils weite Umwege, weil Kunstlicht sie von ihren gewohnten, optimalen Routen ablenkt. Singvögel fangen morgens früher an zu zwitschern. Und weibliche Blaumeisen brüten zeitiger im Jahr. Ein lebensbedrohliches Problem, denn nun fällt die Phase des höchsten Nahrungsbedarfs nicht mehr mit dem Zeitpunkt der maximalen Nahrungsverfügbarkeit zusammen. Für Fische werden grell beleuchtete Brücken in der Nacht zu unüberwindbaren Hindernissen. Derartige „Lichtbarrieren“ behindern zum Beispiel Aale bei ihrer Laichwanderung. Auch Pflanzen leiden unter der Lichtverschmutzung, da sie ihren Wachstumszyklus beeinträchtigt. So verlieren Laubbäume ihre Blätter im Herbst deutlich später. Frostschäden können die Folge sein.2

Gefährdete Risikogruppe: Insekten

Nachtaktive Insekten wie Nachtfalter orientieren ihren Flug üblicherweise an den Sternen und am Mond. Künstliche Lichtquellen, vor allem solche mit hohem UV-Anteil wie Straßenlaternen oder Gebäudebeleuchtungen, ziehen sie scheinbar magisch an. Sie locken die Tiere aus ihren natürlichen Lebensräumen und ins Verderben. Im direkten Umfeld der Lampen können sie sich weder fortpflanzen noch Eier ablegen oder Nahrung aufnehmen. Stattdessen umkreisen sie die Lichtquelle bis zur völligen Erschöpfung, werden in hoher Zahl Opfer von Insektenfressern oder verbrennen qualvoll auf den heißen Leuchtmitteln.

Tipps und Maßnahmen gegen schädliches Kunstlicht

Die gute Nachricht lautet, dass sich die Auswirkungen von Lichtverschmutzung bereits mit etwas Achtsamkeit und cleveren, kleinen Schritten deutlich reduzieren lassen. „Grundsätzlich unterscheide ich hier zwei Bereiche – das Innere des Hauses oder der Wohnung und die Außenanlagen“, erläutert Prof. Harald Bardenhagen. „Sobald wir innerhalb unserer Behausungen das Licht einschalten, sollten wir gleichzeitig die Rollläden oder blickdichte Rollos herunterlassen“, empfiehlt der Experte. Durch diese simple Maßnahme strahle deutlich weniger Kunstlicht nach draußen. „Zudem empfehle ich warmweißes Licht, also Leuchtmittel mit geringem Blauanteil – ein Segen für unseren Melatonin-Haushalt und für Insekten.“ Veraltete Glühbirnen müssten ausgetauscht werden, weil sie vor allem Wärme produzierten.

„Im Außenbereich sollte Licht nur dort zum Einsatz kommen, wo wir es zwingend brauchen“, findet der Forscher. „Zudem sollte es einen geringen oder noch besser gar keinen Blauanteil aufweisen. Bodenstrahler und Fassadenbeleuchtungen bitte vermeiden, wenn möglich auch jede Art von dekorativer Beleuchtung.“ Eine niedrige, nach unten gerichtete Anbringung verhindere weite Abstrahlung in die Umgebung. Zeitschaltuhren und Bewegungsmelder begrenzten künstliches Licht auf die Augenblicke, in denen es tatsächlich benötigt werde. Insektenschonende Leuchtmittel und vollständig geschlossene Lampengehäuse, die nicht heißer als 60 Grad werden, schützten Flattermänner. „Auf fast 90 Prozent der Lichtverschmutzung können wir ohne Komfortverlust und leichten Herzens verzichten“, so Bardenhagen. „Ich sähe es zudem gerne, wenn wir mal über die neun Millionen Straßenlaternen diskutierten, die in Deutschland die Nacht erhellen.“