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Wie Salat wird der Spitzwegerich von Hand gewaschen und geschwenkt.
Spitzwegerich (Plantago lanceolata) wächst im Grunde überall. Ihm gefallen Gärten, Wege, Feld- und Waldränder, aber auch fette Wiesen, magere Höhenlagen und sogar Asphaltritzen. Insgesamt ist er äußerst anpassungsfähig und genügsam, der Inbegriff eines robusten „Unkrautes“. „Wir treten den Spitzwegerich permanent mit Füßen“, bemerkt Annette Greco nachdenklich. Die Apothekerin leitet die Abteilung Galenische Entwicklung bei der WALA. Sie und ihr Team beschäftigen sich unter anderem mit dem Wirkpotenzial von Heilpflanzen. „Seiner Namensherkunft nach ist der Spitzwegerich jedoch herrschaftlich – der König des Weges.1 Ein König, dem wir nicht gebührend huldigen. Für mich zeigt sich hier bereits eine Polarität, auf die wir noch eingehen werden.“
Spitzwegerich als Helfer gegen Husten
Auch wenn seine Namensherkunft Herrschaftsansprüche vermuten lassen könnte, in der Krankenpflege nimmt der Spitzwegerich eine konsequent dienende Rolle ein: So enthält er reichlich ätherische Öle, wertvolle Schleim- und Bitterstoffe sowie Kieselsäure. Diese Kombination macht ihn zu einem kraftvollen Helfer gegen Husten. Seine antibiotische Wirkung unterstützt den Einsatz bei fiebrigen Lungen- und Bronchialleiden. Ja, sein Erfolg reicht sogar so weit, dass der Ausdruck „Spitzwegerich-Saft“ lange Zeit ein Synonym für Hustensäfte allgemein war. Besonders erwähnenswert ist, dass er zwischen zwei Extremen oder Polen auszugleichen vermag: Ob nun zu viel oder zu wenig Schleim – Spitzwegerich kann in allen Hustenphasen harmonisieren und wieder in die Mitte führen. Er lindert typische Hustensymptome, erleichtert das Abhusten und beruhigt auch den Reizhusten in der Heilungsphase, wenn die Schleimhäute noch immer gereizt und überempfindlich sind.
WALA setzt auf biologisch-dynamischen Anbau
Kaum jemand kennt die Eigenschaften und Stärken des Spitzwegerichs besser als Bernhard Klett. Er ist Demeter-Landwirt und leitet als Geschäftsführer die Geschicke der Sonnenhof GmbH, einer Tochter der WALA. Naturgemäß ist seine Beziehung zur Heilpflanze jedoch eine pragmatische. Er baut sie im Auftrag des Mutterhauses an. Spitzwegerich ist für den Sonnenhof inzwischen eine der Hauptkulturen. Die WALA nimmt im Schnitt 1,5 bis 2 Tonnen Frischpflanzen ab. Im Jahr 2020 waren es sogar über 4 Tonnen. „Ich mag den Spitzwegerich gerne“, bekennt der Landwirt lachend. „Er ist ein unkomplizierter Kollege, neigt nicht zu Krankheiten, ist anspruchslos und kommt mit verschiedenen Bedingungen klar. Dabei bleibt er immer vital und wächst sogar in trockenen Jahren gleichmäßig.“
Für den sanften Ausgleich von Extremen
Die Beobachtungen des Landwirts kann Annette Greco nur bestätigen. „Spitzwegerich zeichnet sich durch Anpassungsfähigkeit und Robustheit aus“, fasst sie zusammen. „Trotzdem wirkt er nicht protzig oder trutzig. Nein, der Spitzwegerich hat innere Größe. Er ist ein König ohne Thron. Seine Stärke liegt in seiner Lebenskraft, die es ihm ermöglicht, Extreme auszugleichen. Er führt alles in eine bewegliche Mitte, zurück in das richtige Maß.“
Der Spitzwegerich ist anspruchslos und kommt mit verschiedenen Bedingungen klar. Dabei bleibt er immer vital und wächst sogar in trockenen Jahren gleichmäßig.
Von Hand gewaschen und geschwenkt
Für den Anbau des Ausgleichskünstlers hat Bernhard Klett einen Trick auf Lager: Er bringt sein selbst gewonnenes Saatgut zeitlich versetzt auf den Acker. Man nennt diese Technik „Staffelaussaat“. Auf diese Weise reifen die Pflanzen nicht alle auf einmal, sondern nach und nach heran. Das garantiert eine stets pflückfrische Weiterverarbeitung in der Produktion. Die WALA nutzt übrigens ausschließlich die Blätter. Am Tag der Ernte stellt der Sonnenhof drei Wannen mit frischem Wasser auf, in denen die Mitarbeitenden den Spitzwegerich wie Salat von Hand waschen und schwenken.
Blüteneigenschaften in den Blättern
Doch warum verwertet die WALA ausschließlich die Spitzwegerich-Blätter? „Schauen wir uns die Qualitäten im Wesen der Pflanze einmal an“, lädt Annette Greco ein. Sobald der erste Schnee schmilzt, kommen die Blattrosetten zum Vorschein. Sie liegen platt am Boden. Spitze, lanzenförmige Blätter, die fast wie eine Blüte aussehen. Wird es schließlich wärmer, recken sie sich aufrecht in die Höhe, dem Licht entgegen. Im Sommer erreichen sie eine Länge von bis zu 30 Zentimetern. Eine erstaunliche Leistung, die der Spitzwegerich einem speziellen Gewebe verdankt. Es befindet sich unten an den Blättern und schiebt sie richtiggehend nach oben, ohne dabei die Form zu verändern. „Beim Spitzwegerich sind Blüteneigenschaften in die Blätter gerutscht“, unterstreicht Annette Greco. Auch die ätherischen Öle sitzen vorwiegend in den Blättern, nicht wie sonst in der Blüte.
Bescheidenes Äußeres, innerer Reichtum
Sogar die oben erwähnten Schleimstoffe, die bei den meisten Pflanzen den Wurzeln vorbehalten sind, reichert der Spitzwegerich in seinen Blättern an. „Seine Stärke liegt in seiner Lebenskraft, die der Spitzwegerich für den Ausgleich von Extremen einsetzt. Bei Husten und Bronchitis ist diese Kraft von Vorteil“, schließt Annette Greco ihre Erläuterungen. Qualitäten, die den bescheidenen König des Weges in besonderer Weise auszeichnen. Mag seine äußere Erscheinung auch unscheinbar sein – in seinem Inneren verbirgt der Spitzwegerich reiche Schätze.
1 Die Endung „-rich“ stand im Indogermanischen für „Herrscher“ oder „Fürst“. Wegerich heißt also so viel wie „Herrscher/König des Weges“. Der lateinische Name, abgeleitet von lateinisch „planta“, was Fußsohle bedeutet, weist ebenfalls auf die wegbegleitende Eigenschaft der Pflanze hin.
TEXT: Elisabeth Menzel
FOTOS: Kerstin Braun, Arne Schneider