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Kupfer und Kamillenblüten

Über Stunden unbewegt einen Topf voll Wasser halten, eine komplette rohe Zwiebel essen, vor einem Esel knien: Für die Perfomance-Künstlerin Marina Abramović ist Hingabe an den Augenblick ein elementarer Bestandteil ihrer Kunst. Sie nutzt ihren Körper, ihre eigene Energie und die des Publikums, um Grenzen des Selbst und seiner Wahrnehmung auszutesten. Und immer wieder geht es um unbedingte Präsenz, nicht nur in der spektakulären Perfomance „The Artist is Present“, bei der die Künstlerin 2010 während einer Retrospektive im New Yorker Museum of Modern Art fast drei Monate lang tagtäglich viele Stunden lang auf einem Stuhl schweigend einzelnen Besucherinnen und Besuchern gegenüber sitzt. 750.000 Menschen stehen Schlange, um sich das anzuschauen. Spätestens, als die Kult-Serie „Sex and the City“ die Szene in einer Folge aufgreift, beginnt Marina Abramovićs Aufstieg zum Superstar.

Tiefenschichten aktivieren

Die Tübinger Ausstellung „Jenes Selbst / Unser Selbst“ richtet nun den Blick zum ersten Mal ausdrücklich auf die spirituelle Seite ihres Werks. Seit über fünfzig Jahren setzt sich die 1946 in Belgrad geborene Künstlerin auf ganz eigene Weise mit Fragen der Transzendenz auseinander, verknüpft etwa Elemente der traditionellen europäischen Mystik mit schamanistischen oder buddhistischen Praktiken. Auf welchen Wegen diese Selbsterkundung erfolgt, zeigt die Kunsthalle mit einem breiten Querschnitt von großformatigen Videos und Fotos aus allen Schaffensperioden.

Ein Objekt sticht durch seine speziellen Materialien und organischen Bestandteile heraus und führte zu einer Kooperation mit der WALA: die Installation „Reprogramming Levitation“. Das Stiftungsunternehmen stellt dafür einhundert Kilogramm getrocknete, intensiv duftende Kamillenblüten aus biologisch-dynamischem Anbau zur Verfügung. Ihr Anbau erfolgt im Rahmen der Dr. Hauschka-Rohstoffpartnerschaften, mit denen die WALA nachhaltige Landwirtschaft und biologisch-dynamischen Anbau in aller Welt unterstützt. Normalerweise wird aus den Blüten ein Auszug gewonnen, dessen entzündungshemmende und hautberuhigende Wirkung in verschiedenen Dr. Hauschka-Hautpflegeprodukten zum Einsatz kommt – in Tübingen sind sie Teil der Installation und füllen zwei Badewannen aus Kupfer.

Für eine Installation stellt die WALA einhundert Kilogramm getrocknete Kamillenblüten aus biologisch-dynamischem Anbau zur Verfügung.

Verbindung zur Natur

Die Installation ist ein Modul aus dem im Jahr 2000 konzipierten „Soul Operation Room“. „Ich glaube, dass der Bruch in unserem Naturverhältnis so tief ist, dass die meisten von uns ihren eigenen Körper gar nicht mehr spüren“, zitiert der Begleittext die Künstlerin. Schon seit den 1980er Jahren entwickelt Marina Abramović deshalb interaktive Objekte aus Materialien wie Kupfer, Eisen oder Kristallen. Sie betrachtet sie als Energiespeicher, die helfen können, wieder in Kontakt mit sich selbst zu kommen. Eine Auffassung, die nahtlos an die Unternehmensphilosophie der WALA anknüpft, schließlich beginnt hier der achtsame Umgang mit der Natur und sich selbst bereits bei der Herstellung: Echter, streng zertifizierter Bio-Anbau schützt die Gewässer, stärkt die Fruchtbarkeit des Bodens und unterstützt die biologische Vielfalt. Demeter- und Bioarbeit mit Kompost, Fruchtfolgen und Gründünger emittiert geringere Mengen an Treibhausgasen und speichert mehr Kohlenstoff als herkömmlicher Landbau – so gelangt weniger CO₂ in die Atmosphäre.

Wechselbad der Gefühle

Das Konzept von „Reprogramming Levitation“ sieht vor, dass Besucherinnen und Besucher sich unbekleidet in die Wannen legen und dort drei Stunden von Kamillenblüten bedeckt verweilen – wegen der aktuellen Hygienevorschriften ist dies nicht möglich. Während der Ausstellungseröffnung übernahm deshalb Luca Mercedes Braig diesen Part. Die Kunststudentin hat sich schon vor ihrem Studium an der Stuttgarter Akademie der Bildenden Künste mit Marina Abramović auseinandergesetzt und bewundert die Perfomance-Pionierin für ihre kraftvollen Arbeiten. Jetzt wurde sie selbst Teil ihres Werks: „Die Anweisung lautete, dass ich so entspannt und ruhig wie möglich in der Wanne liegen soll, am besten mit geschlossenen Augen, um ganz bei mir zu bleiben“, erzählt Luca. Etwa vier Stunden hat sie in den Blüten gelegen, immer wieder umringt von Besuchern und Besucherinnen – eine Reise durch Höhen und Tiefen, wie sie sagt: „Ich habe das als ein Wechselbad von Gefühlen erlebt. Die Blüten haben sich manchmal pieksig und stachlig angefühlt, dann wieder ganz weich, so dass ich tatsächlich eine Art Schwebegefühl empfunden habe.“ Zwischendurch habe sie trotz der vielen Besucherinnen und Geräusche um sich herum eine Art meditativen Zustand erreicht. Der intensive Kamillenduft habe beruhigend gewirkt, außerdem entwickelte sich in den Blüten nach und nach eine erstaunliche und umarmende Wärme.

Mit den Kamillenblüten ist die WALA nicht nur Teil eines Kunstprojekts, sondern auch eines weitergehenden Impulses: Gemeinsam mit unseren Kundinnen und Kunden leisten wir einen Beitrag, um die Erde für nachfolgende Generationen zu erhalten und – im Sinne des Demeter-Gedankens – zu heilen.

Kunsthalle Tübingen
Marina Abramović. Jenes Selbst / Unser Selbst
https://kunsthalle-tuebingen.de/ausstellungen/marina-abramovic/
24.07.2021 - 13.02.2022

Kuratiert von Nicole Fritz in enger Zusammenarbeit mit Marina Abramović und ihrem Studio. Begleitkatalog (deutsch/englisch) mit interdisziplinären Beiträgen von Erich Ackermann, Hartmut Böhme, Jeannette Fischer, Nicole Fritz, Antje von Graevenitz, Volker Leppin und Bernhard Pörksen.