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„Wer dirigiert all die Tätigkeiten der Bienen? Niemand. Jede Biene entscheidet für sich, was sie tut.“ Jürgen Tautz
Foto: Ingo Arndt
Mensch und Biene – zwei Erfolgsmodelle
Jürgen Tautz rechnet vor: Menschen gibt es seit rund 6 Millionen Jahren, Bienen seit etwa 30 Millionen Jahren – da war unser Planet noch von Dinosauriern bevölkert. Beide Spezies haben im Laufe der Evolution ganz unterschiedliche Werkzeuge und Strategien entwickelt. Nur, dass Bienen dazu etwas länger Zeit hatten. Es ist also keine Schande, wenn wir uns von ihnen einiges abgucken: ihren Sozialstaat, eine Arbeitsteilung auf Augenhöhe, den nachhaltigen Umgang mit Ressourcen – und vielleicht ja auch ihre Schwesternschaft, die tatsächlich utopisch anmutet.
Von Volk zu Volk
Zunächst wollen wir wissen: Wie lassen sich Gemeinschaften von bis zu 50.000 Individuen effektiv organisieren? Tautz weiß: Bienen leben in flachen Hierarchien, arbeiten extrem arbeitsteilig und zugleich unglaublich gut zusammen. Egal ob sie für den Nestbau, für die Brutpflege, für Nahrungssuche, Klimatisierung des Bienenstocks oder dessen Verteidigung zuständig sind – alle Bienen sind gleich wertvoll. Nur die Königin nimmt eine Sonderrolle ein. Sie wird perfekt umsorgt, das schon. Aber auf ihr lastet auch die größte Verantwortung, sie dient ihr Leben lang.
Denn nur die Königin paart sich mit den männlichen Bienen anderer Völker, den Drohnen. Sie ist die Mutter aller Nachkommen. Jedes Bienenvolk besteht somit aus Voll- und Halbschwestern, die sich selbst nicht fortpflanzen, sondern kollektiv für die nächste Generation sorgen. Bienen definieren Familie sehr großzügig.
Eine für alle, alle für eine
Bei Bienen gilt: Niemand wird ausgegrenzt oder vergessen. Es verhungert keine einzige Biene – oder es verhungert das ganze Volk. Auch Arbeitskräfte, die momentan nicht zum Einsatz kommen, werden durchgefüttert und stehen bei Bedarf sofort wieder zur Verfügung. Von dieser Wertschätzung aller Berufsgruppen und einer langfristigen Perspektive auf dem „Arbeitsmarkt“ können wir uns eine Scheibe abschneiden.
„Weil die Gemeinschaft zählt, darf eine einzelne Biene auch mal faul sein. Als Volk sind Bienen dennoch unglaublich fleißig.“
Bei Bienen haben Fake News keine Chance
Bienen müssen sich aufeinander verlassen können. Der Wahrheitsgehalt ihrer Nachrichten ist deshalb sehr hoch – und geht nicht im Rauschen eines Informationsgewitters unters. Denn Bienen unterscheiden zwischen Meldungen, die nur für bestimmte Volksvertreterinnen interessant sind, und Meldungen, die alle im Stock sofort empfangen und ernst nehmen müssen. Tautz bescheinigt ihnen ein Kommunikationsverhalten, das auf Rückkopplung und Konsens statt auf Top-down-Entscheidungen setzt.
„So kann Schwarmintelligenz entstehen. Was gäben wir Menschen darum …“
Auch in Sachen Nachhaltigkeit vorbildlich
Die Honigbiene beweist durch ihre lange Anwesenheit auf unserem Planeten, wie belastbar und anpassungsfähig, wie nachhaltig erfolgreich sie ist. Jürgen Tautz geht davon aus, dass sie – im Gegensatz zu uns Menschen – auch mit zukünftigen ökologischen Herausforderungen zurechtkommen wird. Ihn begeistert, dass Bienen nicht nur ihr eigenes Überleben sichern, sondern auch für sich und andere Lebensräume schaffen. Durch das Sammeln von Pollen und Nektar bestäuben sie die von ihnen angeflogenen Pflanzen und sichern so deren Fortbestand. Man könnte sagen, Bienen sind nicht nur nachhaltig, sondern über-nachhaltig. Sie schonen und schaffen Ressourcen.
Wie viel Mensch verträgt die Biene?
Allerdings weist Tautz darauf hin, dass wildlebende Honigbienen und Bienen, die von Imkern gehalten werden, nicht gleichermaßen belastbar sind. Während ein Neuparasit wie die Varroamilbe einem Bienenvolk in Menschenhand ernste Probleme beschert, können wildlebende Honigbienen mit dem Eindringling besser umgehen. Ihnen nutzen die natürliche Selektion und das Leben in Baumnestern, die einem Miniatur-Ökosystem gleichen. So haben wilde Bienen Helfer wie den Bücherskorpion an ihrer Seite, der sich von Milben ernährt. Den im Wald lebenden Honigbienen haben Jürgen Tautz und Ingo Arndt ein eigenes Buch gewidmet.
„Beide Wirklichkeiten sollten nebeneinander existieren: Bienenvölker, die von Imkern zu unser aller Nutzen gehalten werden, aber auch Bienenvölker, die als Wildtiere einen wichtigen Baustein im Ökosystem Wald bilden.“
Befruchtendes Miteinander
Wie könnte ein gutes Nebeneinander – vielleicht sogar Miteinander – von Mensch und Biene aussehen? Im Heilpflanzengarten der WALA spricht man von „achtsamer Bienenhaltung“. Hier sind Mensch und Biene Teil eines größeren Ganzen. Sie finden ihre Plätze im Organismus Garten, der die Zweihänder und die Sechsfüßer gleichermaßen braucht. Joscha Huter, als Gärtner für die 20 Bienenvölker der WALA zuständig, sagt: „Es ist mir eine Ehre, mit solch hochentwickelten Lebewesen arbeiten zu dürfen. Wir können so viel von den Bienen lernen.“ Und darum geht es ja schließlich.
TEXT: Anne Mikus