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Fair reisen

Dr. Dietrich Brockhagen ist Gründer und Geschäftsführer von „atmosfair“. Die gemeinnützige Organisation kompensiert hauptsächlich Treibhausgase, die durch Flugreisen und unvermeidbare Aktivitäten an Standorten von Unternehmen entstehen.
Foto: atmosfair

Herr Dr. Brockhagen, Sie haben atmosfair 2005 gegründet. Was hat Sie damals angetrieben?

Dr. Dietrich Brockhagen:

Eigentlich komme ich aus der Klimapolitik, ich habe für das Bundesumweltministerium gearbeitet und auch bei Klimaverhandlungen mitgewirkt. Da habe ich gesehen, dass sich wichtige Instrumente, wie etwa eine Kerosinsteuer für den Flugverkehr, politisch nicht durchsetzen lassen. Das hat mich zutiefst frustriert.

Weil Klimawandel, Treibhausgase und CO2-Kompensation damals noch nicht so im Fokus standen, wie es heute der Fall ist?

Dr. Dietrich Brockhagen:

Es ist vor allem eine Kommunikationsfrage. Die Bild-Zeitung hat damals getitelt: „Trittin will die Mallorca-Steuer“, weil er laut über eine Kerosinsteuer nachgedacht hat. Da wusste ich, wir brauchen eine positive Kommunikation. Wir sagen den Menschen: „Hey, du kannst was tun für den Klimaschutz.“ Und nicht: „Die da oben wollen dir in die Tasche greifen.“

Mit atmosfair haben Sie also den Spieß umgedreht und setzen auf Freiwilligkeit?

Dr. Dietrich Brockhagen:

Ich wollte etwas bewegen, was die Politik vielleicht nicht bewegen kann. Der große Vorteil eines freiwilligen Instruments ist, dass es verhärtete Fronten aufbricht. Denn der Ansatz ist der Gleiche: Ich gebe Geld aus für den Klimaschutz. Aber wir besetzen es positiv, weil man damit Gutes tun kann.

Der Erfolg gibt Ihnen Recht: Heute ist atmosfair eine anerkannte gemeinnützige Klimaschutzorganisation mit dem Schwerpunkt Reise.

Dr. Dietrich Brockhagen:

Reisen ist ein wichtiges Feld in Sachen Klimaschutz. Inzwischen haben viele Unternehmen eine größere Klimaschutzstrategie und versuchen, sich nach den Vereinbarungen des Pariser Klimaabkommens zu richten. Da kann Kompensation eine Rolle spielen. Und mit dem Geld, das bei uns ankommt, setzen wir gezielt weltweit Klimaschutzprojekte auf.

Ist die Kompensation von CO2-Emissionen ein Allheilmittel? Können kompensierende Unternehmen mit gutem Gewissen weitermachen wie bisher?

Dr. Dietrich Brockhagen:

In Schulnoten ausgedrückt, gibt es für reine Kompensation ungefähr eine 4, also „ausreichend“. Das ist besser als nichts, man wird auch noch versetzt – aber natürlich ist es deutlich zu wenig. Das Einzige, was wirklich zum Ziel führt, ist die Reduktion von Treibhausgasen an der Quelle. Das ist unersetzlich, die Kompensation ist so gesehen nur eine Krücke.

Andererseits: Wenn viele Unternehmen hauptsächlich auf Kompensation setzen, könnte sich atmosfair über größere Zahlungen freuen …

Dr. Dietrich Brockhagen:

Wir wollen nicht unseren Umsatz maximieren und auch nicht die Kompensation. Wir wollen Klimaschutz maximieren. Das steht so auch bei uns in der Satzung. Wir sind eine NGO, eine gemeinnützige GmbH. Wir sind nur unserer Satzung verpflichtet und lehnen daher auch viele Anfragen ab. Beispielsweise, wenn wir merken, dass ein Unternehmen sich „freikaufen“ will und es keine oder nicht genügende Maßnahmen trifft, um die eigenen CO2-Emissionen zu verringern.

Und wie entscheiden Sie, mit wem Sie zusammenarbeiten?

Dr. Dietrich Brockhagen:

Die Kriterien, nach denen wir unsere Partner aussuchen, sind immer die gleichen. Es gibt einen Fragenkatalog, den wir mit jedem Unternehmen durcharbeiten: Gibt es für das, was kompensiert werden soll, bereits eine klimafreundlichere Alternative, die realistisch und auch machbar ist? Und setzt der künftige Partner sie bereits um oder arbeitet daran? Nur wenn wir dies mit „Ja“ beantworten, kommt eine Zusammenarbeit für uns infrage. Letztendlich steht dann fest, was kompensiert werden kann. In vielen Fällen betrifft das den Schwerlastbereich und die Logistik allgemein. Und natürlich die Geschäftsreisen. Hier gehen wir gerade in der Pandemie meist davon aus, dass niemand leichtfertig in den Flieger steigt.

Abgesehen von der Kompensation notwendiger Geschäftsreisen bei atmosfair: Was kann ein Unternehmen noch tun, um klimafreundlicher zu agieren?

Dr. Dietrich Brockhagen:

Die Königsdisziplin besteht darin, die Emissionen an den eigenen Standorten runterzufahren. Hier kann jedes Unternehmen selber Hand anlegen – das ist der beste Klimaschutz. Etwa konsequent auf Biogas statt auf herkömmliches Erdgas zu setzen und auf Grünstromtarife zu wechseln.

Inzwischen ist auch zu lesen, dass Firmen an ihrer Klimapositivität arbeiten. Was können wir uns darunter vorstellen?

Dr. Dietrich Brockhagen:

Vom Gedanken her geht es darum, dass ein Unternehmen durch seinen Betrieb die Atmosphäre mehr entlastet als es sie durch Emissionen belastet. Das ist möglich, etwa beim Betrieb eines Heizkraftwerks mit Gas: Der Kohlenstoff wird aus dem Methan abgeschieden, das Kraftwerk wird nur mit dem übrig gebliebenen Wasserstoff betrieben. Das Kraftwerk merkt den Unterschied kaum und läuft wie gehabt – aber das Unternehmen hat quasi einen Sack Kohlenstoff aus der Atmosphäre geholt. Der wiederum muss dann sicher verpresst werden, was nicht überall einfach möglich ist.

Wagen Sie eine Prognose? Wird Klimapositivität in den nächsten Jahren leichter realisierbar?

Dr. Dietrich Brockhagen:

So langsam kommen diese Themen auf die Tagesordnungen bei Unternehmensberatungen und NGOs. Deswegen glaube ich, dass wir in den nächsten Jahren einzelne Unternehmen sehen werden, die das machen. Ob diese Technologie jemals flächendeckend eingesetzt wird, kann ich nicht sagen. Aber es sind positive Entwicklungen, auf denen sich aufbauen lässt.

Herzlichen Dank für das Gespräch.