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Wer Manfred Klett besuchen will, findet ihn an dem Ort, an dem er schon in den 1950er Jahren seine landwirtschaftliche Lehre machte und der ihn seitdem nicht mehr losgelassen hat: auf dem Dottenfelderhof in Bad Vilbel, nur ein paar Kilometer nordöstlich von Frankfurt am Main gelegen. Dort lebt der bald 88-Jährige mit seiner Frau Lieselotte in einer hellen, freundlichen Wohnung am Rande des Demeter-Betriebs. Doch wer erwartet, hier einen Mann im Ruhestand zu treffen, der sich nach rund 60 Jahren engagierter Aufbauarbeit für die biodynamische Bewegung mit Blick auf sein Lebenswerk ausruht, wird schnell eines Besseren belehrt. Schon bei der Terminvereinbarung fällt beiläufig die Bemerkung, dass er in den Schlusskorrekturen eines neuen Buches stecke. Und worum es denn gehe beim Interview – vielleicht um das aktuelle Projekt der Hofgemeinschaft Juchowo in Polen, für das er sich gerade intensiv um Spenden bemüht? „Ich bin noch nicht fertig“, sagt Manfred Klett. „Es gibt noch so viel zu tun! Und es hängt ja doch immer von einem selbst ab, ob sich etwas in der Welt verändert.“
Manfred Klett wurde 1933 in Tansania geboren. Sein Vater betrieb dort eine Kaffeeplantage. Heute verbringt er viel Zeit auf dem Dottenfelderhof bei Frankfurt.
Utopie zum Anfassen
Auch wenn manches beschwerlicher und ausgedehnte Reisen selten geworden sind: Manfred Klett ist mit seinem Lebensthema weiter eng verbunden. Und das kreist darum, die Potenziale der biodynamischen Landwirtschaft für die Gesellschaft weiterzuentwickeln und die Idee in die Zukunft zu tragen. Darum ging es schon 1968, als er und seine Frau gemeinsam mit vier weiteren Familien nach langen und harten Verhandlungen mit dem Land Hessen das heruntergewirtschaftete Hofgut übernehmen konnten. Während ein paar Kilometer weiter in Frankfurt die Studentenrevolte ihren Anfang nahm und Adorno über die Unmöglichkeit des richtigen Lebens im falschen dozierte, fingen die Menschen auf dem Dottenfelderhof einfach schon mal an mit dem richtigen Leben.
Eine Verkettung schicksalhafter Zufälle war es, die Manfred Klett an diesen Ort und zu diesem Thema brachte. Geboren wurde er 1933 in Tansania, wo sein Vater eine Kaffeeplantage betrieb. 1940 kehrte die Familie nach Stuttgart zurück. Eine Verletzung beim Fußball durchkreuzte seine ursprünglichen Studienpläne, stattdessen reiste Manfred Klett mit einem Forschungsprojekt zur künstlichen Bewässerung von Baumwolle nach Syrien. Das verödete Land hatte nichts mehr mit den Beschreibungen der ehemals blühenden Hochkultur Babyloniens gemeinsam, an die er sich aus seiner Waldorfschulzeit in Stuttgart erinnerte. „Der Kontrast war so stark, das war eine unglaubliche Erfahrung“, sagt er. „Mir wurde klar, dass uns diese Entwicklung in Europa auch bevorsteht, wenn wir nichts ändern. Also wollte ich Landwirt werden.“
Zurück in Deutschland hörte Manfred Klett erstmals vom Dottenfelderhof. Das alte Klostergut – im Jahre 843 erstmals urkundlich erwähnt – wurde seit 1946 gemäß den Prinzipien des biodynamischen Landbaus bewirtschaftet. Nach seiner Lehre dort folgten ein Agrarstudium an der Universität Hohenheim in Stuttgart, die Promotion und einige Jahre Projektforschung am Institut für biologisch-dynamische Forschung in Darmstadt. Doch der Dottenfelderhof, mittlerweile als Spekulationsobjekt von Zersiedelung bedroht, beschäftigte ihn weiter. Schließlich konnten er und seine Mitstreiter eine Betriebsgemeinschaft gründen und den Hof trotz erschwerter Rahmenbedingungen pachten. „Wir hatten kein Geld, aber einen Haufen Arbeit“, erinnert er sich. „Wir haben Tag und Nacht gearbeitet, und nach zwölf Jahren waren wir schuldenfrei. Das waren die schönsten Jahre meines Lebens.“ Später war er über zwanzig Jahre an der landwirtschaftlichen Sektion am Goetheanum im schweizerischen Dornach tätig, doch mit 77 Jahren kehrte er wieder nach Bad Vilbel zurück.
Ein gemeinsames Ziel verfolgen
Im Gespräch mit Manfred Klett wird schnell klar, dass es ihm um einiges mehr geht als „nur“ um Umweltschutz oder Tierwohl. Er sieht im biodynamischen Landbau einen Kulturimpuls, der auch einen anderen Umgang mit Eigentumsfragen sowie neue Formen der Gemeinschaftsbildung umfasst. Lösungsansätze dafür findet er in der Anthroposophie Rudolf Steiners und dem Konzept der sozialen Dreigliederung. „Ein erster Schritt ist getan, wenn man Grund und Boden aus den alten Rechts- und Eigentumsverhältnissen herauslöst und in die Gemeinnützigkeit überführt“, ist er überzeugt. „Dann gehen Türen nach allen Richtungen auf und die Landwirtschaft beginnt, mit den sozialen Prozessen mitzuatmen, statt durch Subventionen wirtschaftlich ein Scheinleben zu führen.“ Über hundert Menschen leben heute auf dem Dottenfelderhof, dessen Hofladen – eher ein Biosupermarkt – und Schulbauernhof weit in die Region ausstrahlen. Es gibt ein Forschungsinstitut, eine breit aufgestellte biodynamische Pflanzenzüchtung und die staatlich anerkannte Fachschule für biologisch-dynamischen Landbau. Ihrem Trägerverein und der 2018 gegründeten, ebenfalls gemeinnützigen Bodenstiftung gehört inzwischen das gesamte Anwesen.
Ökolandbau und Biolebensmittel sind heute im Mainstream angekommen. Auch wenn Manfred Klett es begrüßt, dass Fragen der Nachhaltigkeit inzwischen gesellschaftlich breiter diskutiert werden, fehlt ihm doch oft die übergeordnete, geistige Dimension. „Entscheidend ist in meinen Augen die Frage, wie ich ein vorausschauendes Bewusstsein ausbilden kann, ein Bewusstsein davon, dass wir gesamtgesellschaftlich auf ein Entwicklungsziel hinarbeiten. Das scheint mir das Allerwertvollste zu sein, was man den Menschen heute nahebringen kann.“ Das wachsende Interesse der jüngeren Generation, auch Bewegungen wie „Fridays for Future“, beobachtet er mit Wohlwollen. Allerdings brauche es über eine rein seelische Betroffenheit hinaus gute Ideen und Willenskraft, um wirkliche Veränderungen einzuleiten. „Gerade erlebnispädagogische Angebote können da Wunder wirken, wir erleben das seit Jahren in Juchowo“, sagt er. Noch so ein Herzensprojekt von Klett – eine Art Ableger des Dottenfelderhofes in Polen. Der ehemalige Großbetrieb entwickelt sich seit einigen Jahren zum Modellprojekt, auch hier wirkt die biodynamische Landwirtschaft als Keimzelle für soziale Transformation. All das begleitet Klett mittlerweile physisch eher aus der Ferne, innerlich aber voll beteiligt. Seine Lebensaufgabe ist eine Leidenschaft, die er mit seinem Sohn Bernhard teilt. Bernhard Klett packt heute so an wie es sein Vater früher getan hat – auf dem Sonnenhof, dem Demeter Bauernhof der WALA Heilmittel GmbH. Manche nennen es gute Gene, wir nennen es Tradition.
Den Dottenfelderhof kann man digital besuchen: www.dottenfelderhof.de
TEXT: Laura Krautkrämer
FOTOS: Laura Krautkrämer, Guy Sidora/Dottenfelderhof